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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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erzählte von dem Gespräch, das er belauscht hatte. »Deshalb ist es hier im Wald auch so still. »Sie vertreibt alle Raubtiere, dafür müssen ihr die Baumrenner immer wieder etwas zu Fressen verschaffen.«
    »Warum kann sie sich denn nicht selbst ernähren?«, fragte Sylph.
    »Ihr Bein. Sie hinkt.«
    Ikaron nickte. »Die Diatrymas müssen sehr schnell sein, um auf Grasland ihre Beute zu hetzen. Sie muss mit der Hoffnung in den Wald gekommen sein, kleinere Beute aus dem Hinterhalt erlegen zu können. Aber zwischen den Bäumen ist sie zu unbeholfen. Wenn Adapis ihr keine Beute verschaffen würde, müsste sie verhungern.«
    Dämmer schauderte es bei der Vorstellung des boshaften Abkommens. Er musste daran denken, wie Knoll erzählt hatte, dass zwar viele Tiere in den Wald kämen, sie aber niemals lange blieben. Und er fragte sich, wie viele Geschöpfe Adapis schon zu ihrem Tode eingeschläfert hatte.
    »Die haben so freundlich gewirkt«, sagte Sylph. Sie konnte es absolut nicht verstehen, wie irgendeine Kreatur so etwas Schreckliches tun konnte.
    Jetzt erst bemerkte Dämmer das Blut im Fell seines Vaters. Seine Wunde war wieder aufgerissen.
    »Papa, du …«
    »Ich weiß. Darum kümmere ich mich später«, sagte er. »Wir können hier nicht die ganze Nacht verbringen. Die Baumrenner sind stark, und wer weiß, zu welchem Verrat sie sonst noch fähig sind. Wir müssen bald aufbrechen.«
    Aus den Ästen um sie herum erklang das Wimmern und Stöhnen der zu Tode erschreckten Chiropter.
    Ikaron hob die Stimme, sodass ihn alle hören konnten: »Ich weiß, dass ihr erschöpft seid«, rief er. »Ich weiß, was ihr gelitten habt. Doch wir müssen fort von hier. Denkt an das neue Zuhause, das uns erwartet. Vor zwanzig Jahren, als ich zusammen mit Sol, Barat und Nova aus meiner Kolonie verstoßen wurde, haben wir befürchtet, dass wir nie eine neue Heimat finden würden. Aber wir haben die Insel entdeckt. Nun sind wir ein weiteres Mal heimatlos, doch ich verspreche, dass wir schon bald ein neues Zuhause haben werden, und es wird üppig und sicher sein. Denkt daran, wenn wir heute Nacht unterwegs sind.«
    Dann wandte sich Ikaron an Dämmer und sagte sehr viel leiser: »Wenn wir weit oben reisen, haben wir genügend Mondlicht. Du und Sylph, ihr bleibt dicht bei mir. Und, Dämmer, wir werden vielleicht dein Echosehen brauchen, das uns sicher durch die Nacht leitet.«
    Mit Panthera an seiner Seite tauchte Reißzahn aus der Kühle der Höhlen im Berghang auf, um in der Abenddämmerung zu jagen. Als auch die übrige Meute auftauchte, blickte er mit ungeheurer Zufriedenheit über das Tal. Es war eine gute Wahl gewesen, dies hier als Revier zu nehmen. Wie es jetzt seine Gewohnheit war, suchte er sorgfältig die Baumwipfel und den Himmel ab und lauschte nach dem klagenden Ruf der Raubvögel. Doch von oben drohte keine Gefahr.
    Stattdessen war sie zu Fuß eingetroffen.
    Reißzahn hatte sie nicht einmal gerochen, bevor sie plötzlich in Sicht waren.
    Allein ihre Größe überraschte ihn so, dass er dachte, es müssten Saurier sein. Doch ihre Geschwindigkeit und ihr Fell sagten ihm, dass es Säugetiere waren, größer, als er jemals welche gesehen hatte. Hinten waren sie schwarz und weiß gestreift, während der vordere Körper von erdiger Farbe war, die um die kräftige Schnauze herum zu einem dumpfen Schwarz wurde. Sie rannten nur auf den Zehen, ohne den ganzen Fuß aufzusetzen, und ihre Beine waren straff vor lauter Muskeln. Seitlich von ihren lang gestreckten Köpfen standen spitz zulaufende Ohren ab wie Flossen. Sie waren zu sechst und schwärmten sofort aus, um so viele Feliden einzukreisen wie möglich.
    Einer von ihnen stand Reißzahn direkt gegenüber. Er war viermal so groß wie er, und ein Paar gewaltiger Reißzähne ragten über seinen Unterkiefer heraus, um die Beute noch besser fassen zu können. Doch es waren die gezackten Zähne weiter hinten, die bewirkten, dass Reißzahn jede Faser seines Körpers anspannte. Er spürte geradezu, wie einfach das Tier damit Knochen knacken und Fleisch reißen konnte. Und er konnte Fleisch im feuchten Atem des Tiers riechen.
    Trotzdem würde er nicht zurückweichen. Schon einmal war er wegen eines Eindringlings aus seinem Gebiet geflohen und würde das kein zweites Mal tun. Er bemerkte zufrieden, dass einige aus seiner Meute bereits oben in den Bäumen waren und auf überhängenden Zweigen balancierten, fauchten und jaulten, bereit zum Sprung. Andere Feliden waren auf dem Boden geblieben und

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