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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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bereit.«
    »Ich werde da sein.«
    Die abscheuliche Stimme sagte nichts mehr, und Adapis verschwendete keine Zeit, wandte sich ab und eilte in großen Sprüngen zurück. Dämmer zog sich hinter seinen Blätterschirm zurück und presste sich an die Rinde. Ihm war klar, dass er gerade etwas mitbekommen hatte, das nicht für ihn bestimmt war. Er würde noch einige Augenblicke warten, bis die Baumrenner vorbei waren, und dann zum Festmahlbaum zurückfliegen. Wenn er kräftig flatterte, würde er vor Adapis dort sein. Sein Vater war bestimmt in der Lage, aus dem allem schlau zu werden.
    Er spähte zwischen den Blättern hervor, um die Baumrenner zu beobachten, da packte ihn etwas von hinten. Er schlug um sich und verdrehte den Hals, wollte sehen, wer ihn da festhielt. Es waren Adapis’ Begleiter, die jeder eines seiner Segel mit ihren schnellen, geschickten Händen hielten. Er hatte nicht erwartet, dass sie so stark waren.
    »Lasst mich los!«, fauchte er und kämpfte vergeblich, um freizukommen.
    Plötzlich stand Adapis vor ihm und hielt eine Beere in der Hand.
    »Du bist ganz schön lästig«, sagte er.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Dämmer, der von Adapis’ gekränktem Ton betroffen war.
    »Wir haben einen ganz besonderen Gast zu dem Festmahl eingeladen.«
    »Wer war das?«, wollte Dämmer wissen.
    »Ein anderer Ehrengast. Hier, du wirst durstig sein.«
    Dämmer zuckte zurück, doch Adapis drückte ihm die Beere beharrlich gegen das Gesicht. Saft rieselte ihm über das Fell. Er presste den Mund zusammen, sein Herz raste in der Brust.
    »Also gut«, sagte Adapis, legte seine freie Hand über Dämmers Nasenlöcher und drückte fest zu.
    Dämmer warf den Kopf hin und her und versuchte, die starken Finger loszuwerden, doch sie bewegten sich nicht. Die Beere triefte gegen seinen zusammengepressten Mund. Er wollte sie nicht. Aber er bekam keine Luft mehr. Als er es nicht mehr länger aushielt, machte er den Mund weit auf und schnappte nach Luft, und sofort schob ihm Adapis die Beere in den Mund und umklammerte seine geschlossenen Kiefer mit beiden Händen. Wieder wehrte sich Dämmer, aber vergeblich, er musste schlucken oder ersticken.
    Er schluckte.
    Adapis löste den Griff.
    Der Geschmack der Beere war widerlich, er würgte ein bisschen und spuckte so viel aus, wie er konnte.
    »Gib ihm zur Sicherheit noch eine«, sagte einer der Baumrenner.
    »Das reicht für einen Neugeborenen«, sagte Adapis.
    »Was war das?«, fragte Dämmer voller Angst, dass er vergiftet worden war.
    »Das war etwas, an dem sich deine ganze Kolonie beim Festmahl erfreuen wird«, sagte Adapis. Seine Augen weiteten sich und wurden traurig. »Es tut mit leid, Dämmer. Weißt du, alles hat sich verändert. Wir tun, was wir zum Überleben tun müssen. Ungute Dinge manchmal.«
    »Was denn?«, fragte Dämmer und fühlte sich verwirrt und eigenartig schwer. »Was meinst du damit?« Er krächzte und fing an zu schluchzen. »Ich möchte zurück zu meinem Vater und zu Sylph …«
    Adapis blickte weg, als würde er sich schämen.
    Trotz des Schreckens, den er empfand, war Dämmer so schwach, dass er nur noch auf der Rinde zusammensacken konnte, er keucht, und dann spürte er, wie Dunkelheit ihn überkam.
    Er kämpfte sich unter dem Gewicht des Schlafs hervor. Erst öffnete er mühsam das eine Auge, dann das andere. Das Licht fiel schräg durch die Zweige. Als er sich umsah, wusste er nicht, wo er war. Sein Herz schlug unregelmäßig, und dann setzte seine Erinnerung wieder ein, erst wie ein lustloses Rinnsal, dann wie ein Sturzbach: etwas Fürchterliches im Wald, Baumrenner halten ihn nieder, Adapis zwingt ihm eine Beere in den Mund. Plötzlich überkam ihn heftiger Brechreiz und er erbrach sich mehrfach auf den Ast. Angewidert schwankte er zurück.
    War es schon Morgen? Sein von panischem Schrecken erfasster Verstand sagte ihm, dass das Licht von Westen kam. Sonnenuntergang. Nicht Sonnenaufgang. Komm genau bei Sonnenuntergang , hatte Adapis gesagt. Da war eine Bestie im Wald und sie kam zu dem Festmahl. Er musste seine Kolonie warnen.
    Schnell bestimmte er seine Position und sprang dann in Richtung Festmahlbaum in die Luft. Dort, wo ihn die Baumrenner festgehalten hatten, schoss ein stechender Schmerz durch seine Flügel. Jeder einzelne Schlag war ein Kraftaufwand, und er war noch nicht weit gekommen, als er schon wieder nach Atem ringend landen musste. Er war unglaublich schwach und müde, seine Muskeln waren noch immer durchtränkt vom

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