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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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    Ich weiß, aber die anderen Chiropter können das nicht. Und dann gäbe es da auch nicht genug zu essen. Die Insekten sind am liebsten da, wo es viele Bäume gibt.
    Schon während er das sagte, wuchsen neben dem ersten noch andere Bäume, ebenso groß und ohne niedrige Äste.
    Ja, dachte er erfreut, nicht so sehr über den Anblick des kleinen, vollkommenen Waldes, sondern darüber, dass er ihn selbst heraufbeschworen hatte. Er konnte etwas steuern. Sogar in seinem Traum wurde ihm klar, dass dieser Ausblick eine aufregende Ähnlichkeit mit dem Traum hatte, den ihm die Sterne zeigten, als er von dem Giftpilz probiert hatte.
    Ein Berg und darauf ein Baum, der aus der Erde wuchs, erst aus dem Samen als Keimling, dann als junger Baum, der dicker wurde und sich dann als mächtiger Stamm in den Himmel verzweigte.
    Das ist das Zuhause, nach dem du suchst, sagte die Traumstimme.
    Ja, dachte Dämmer. Es ist vollkommen.
    Es war noch dunkel, als Sylph ihn weckte. Dämmer war, als hätte er kaum geschlafen, und sein Kopf war mit Bildern und dringenden Botschaften überladen, die er nicht ganz entschlüsseln konnte.
    »Ich glaube, Papa ist wirklich krank«, sagte Sylph. Sie sah verängstigt aus und ihre Stimme zitterte.
    Dämmer überkam Panik. Es war jetzt zwei Tage her, dass sie vor den Baumrennern geflohen waren, und die Wunde seines Vaters hatte sich wieder entzündet. Er näherte sein Gesicht dem seines Vaters und spürte die Wärme, die von seinem Fell aufstieg.
    Ikaron schlief unruhig, murmelte vor sich hin und zuckte. Dämmer kam sich klein und nutzlos vor.
    »Geh Südwind wecken«, sagte er zu Sylph. »Er wird wissen, was zu tun ist.«
    Als Südwind eintraf, betrachtete er ihren Vater genau und seufzte erschöpft.
    »Wie können wir ihm helfen?«, fragte Dämmer.
    »Wir können nicht für ihn gegen die Entzündung kämpfen«, sagte Südwind leise. »Das kann nur er selbst.«
    Dämmer biss die Zähne aufeinander. »Was ist mit dem Zeug, das die Baumrenner benutzt haben?«
    Südwind schüttelte den Kopf. »Wissen wir denn, ob ihm das tatsächlich geholfen hat?«
    »Genau«, sagte Sylph. »Warum sollten sie sich bemühen, dass es ihm besser geht, wenn sie ihn doch nur an dieses Scheusal da verfüttern wollten.«
    »Vielleicht, damit wir ihnen vertrauen«, sagte Dämmer. »Oder vielleicht mag die Diatryma keine verwundete Beute.«
    »Wir haben nie Rinde und Blätter verwendet«, sagte Südwind. »Das war nie unsere Sache. Ich kenne nicht einmal die Zutaten.«
    »Ich schon«, sagte Dämmer spontan. »Ich hab zugesehen.«
    »Bist du sicher?«
    »Auf jeden Fall weiß ich, welche Rinde. Ich geh sie jetzt suchen.«
    »Es ist noch zu dunkel«, meinte Südwind.
    »Ich kann im Dunkeln sehen.«
    Südwind blickte ihn an, dann nickte er. »Dann geh und finde die Rinde. Sylph und ich bleiben bei Papa. Sei vorsichtig.«
    Dämmer flog lediglich mit Echosicht. Er mied Äste, auf denen andere Tiere schliefen. Seit sie die unheilvolle Stille des Baumrennerwalds verlassen hatten, waren sie wieder in der Welt der Tiere aufgetaucht, die um ein Gebiet wetteiferten. Sogar einen unbesetzten Platz zu finden, wo sie übernachten konnten, war schwierig geworden.
    Er hatte den Baum gesehen, von dem einer der Baumrenner die heilende Rinde abgeschält hatte – ein dunkler, verdrehter Stamm mit dünnen Ästen und enorm breiten Blättern. Seine Echosicht zeigte keine Farben, und so suchte er angespannt nur nach dem Umriss, während in seinem Kopf die Gedanken umeinanderwirbelten. Wenn er ihn nun nicht fand? Wenn ein solcher Baum sonst nirgendwo wuchs? Die Baumrenner waren so schlau. Aber wieso waren sie zu einer solchen Grausamkeit fähig? Vielleicht waren sie das gerade wegen ihrer Klugheit. So hatten sie sich überlegt, wie sie das Leben anderer gegen ihr eigenes einhandeln konnten.
    Dann sah er ihn. Er landete am Stamm, versenkte seine Krallen in der Rinde und roch an ihr, um ganz sicherzugehen. Mit den Zähnen bohrte er die Rinde an und versuchte dann, ein Stück abzuziehen. Es war schwierig, und er verfluchte seine Ungeschicklichkeit und wünschte, er hätte, zumindest für ein paar Augenblicke, die geschickten Hände der Baumrenner.
    Endlich konnte er einen dünnen Streifen abziehen. Das war doch genug? Adapis hatte auch nicht mehr als das genommen. Er packte die Rinde mit den Zähnen, stieß sich ab und flog. Welches Blatt Adapis zerkrümelt in die Rindenpaste gemischt hatte, wusste er nicht, und er konnte nur hoffen, dass das nicht so wichtig

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