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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Überraschung auf und sie wendete scharf.
    »Wer bist du?«, fragte sie, während sie zum Baum zurückflog. Direkt vor ihrer Landung machte sie einen schnellen Ruck in der Luft, packte die Unterseite des Asts mit den Krallen der Hinterbeine, schwang mit dem Kopf nach unten und spähte direkt auf ihn herunter.
    Ehe sie ihre Segel zusammenlegte, bemerkte er, dass sie nahezu haarlos waren, und als der Mondschein durch sie hindurchschimmerte, sah er die sich abzeichnenden Arm- und Fingerknochen.
    »Es sind die gleichen«, murmelte er voller Erstaunen. »Wie meine. Deine Segel …«
    Er spürte eine sanfte Salve von Jagdschnalzern auf Gesicht und Fell. Sie betrachtete ihn mit Klang.
    »Wer bist du?«, fragte sie wieder.
    »Dämmer. Du kannst fliegen!«
    »Zeig mir deine Flügel!«, sagte sie aufgeregt. Ihre dunklen Augen huschten flink und lebhaft hin und her.
    »Das sind keine Flügel, das sind Segel«, sagte er und breitete sie aus.
    Sie ließ sich auf seinen Ast fallen und kam auf allen vieren näher.
    »Nein, das sind Flügel«, sagte sie und stupste ihn mit der Nase an.
    Dämmers Herz raste. »Chiropter werden mit Segeln geboren«, sagte er. Irgendwie wusste er, was sie als Nächstes sagen würde, und das fürchtete und ersehnte er zugleich.
    »Ja schon, aber du bist kein Chiropter.«
    »Bin ich doch. Meine Mutter und mein Vater …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du bist von Chiroptern geboren worden, doch du hast den Wandel gemacht.«
    »Den Wandel?«
    »Du bist anders geworden. Du bist neu.«
    Dämmer spürte, wie er zitterte.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte sie freundlich. »Du bist nicht allein. Es gibt noch mehr.«
    »Wie viele?«
    »Eine Menge. Wir haben eine Kolonie nicht weit von hier. Lauter Flieger.«
    »Wie passiert so was?«, fragte er mit heiserer Stimme. »Und warum?«
    Sie zuckte mit dem Flügel. »Niemand weiß das. In meiner Kolonie waren es drei von uns, die fliegen konnten.«
    »Drei!«
    »Unser Knochenbau war anders. Wir hatten eine deutlich stärkere …«
    »… Brust und auch die Schultern waren kräftiger?«
    »Ja. Und Flügel ohne Fell.«
    »Ich hab gedacht, ich wäre der Einzige. Eine Missgeburt.«
    »Keine Missgeburt. Wir sind etwas anders geworden, das ist alles. Aber das hat bedeutet, dass wir unsere Kolonie verlassen mussten.«
    »Und ihr seid gegangen?«
    »Bist du nicht auch vertrieben worden?«
    »Mein Vater war der Anführer.«
    »Das ist eine Erklärung«, sagte sie. »Aber warum bist du allein?«
    »Sie haben mich vorausgeschickt, um ein neues Zuhause zu suchen.«
    »Geschickt? Oder verbannt?«
    »Geschickt«, sagte er und ein eiskalter Schauer zog ihm plötzlich über den Rücken.
    »Wir sind alle verbannt worden«, erzählte sie. »Wir waren ein Ärgernis. Wir konnten schneller jagen, mehr essen und bei Nacht sehen. Wir hätten nie Gefährten gefunden.«
    »Aber wir sind immer noch Chiropter«, sagte Dämmer.
    »Wir haben einen neuen Namen für uns«, sagte sie. »Fleder.«
    »Fleder?«
    »Der Name unsrer Anführerin ist Fleder-uga. Sie hat die Kolonie gegründet. Sie war die Erste.«
    »Und ich hatte Angst, ich wäre der Erste«, bekannte Dämmer.
    Sie lachte leise. »Sie ist viel älter als du. Wir hatten alle Glück, sie zu finden. Sie hat uns ein Zuhause gegeben, also haben wir uns nach ihr benannt.«
    »Fleder.« Das war kurz, leicht und schnell, wie etwas, das durch die Luft wirbelt.
    »Ich bin Chimera«, sagt sie.
    Er wollte sie einfach nur betrachten. Ihre Segel – Flügel – hätten seine eigenen sein können. Ihr Fell war dunkel wie seines, doch mit unterschiedlicher Musterung. Im Gesicht und an der Kehle hatte sie weiße Strähnen. Und ihre Ohren waren spitzer und größer.
    »Ich hab immer versucht zu flattern«, erzählte er. »Von Anfang an.«
    »Ich auch« sagte sie. »Es war so mühsam, es geheim zu halten. Ich hab in den Wald segeln müssen, damit ich fliegen konnte.«
    »So hab ich das auch gemacht!« Und ganz plötzlich erzählte er ihr alles, was seiner Kolonie passiert war. Die Geschichte war ihm schon so lange im Kopf herumgegangen, dass es eine ungeheure Erleichterung für ihn war, als er sie nun, in Worte gefasst, freilassen konnte.
    »Es klingt so, als ob deine Familie dir mehr zugestanden hat als meine«, sagte Chimera. »Vor allem dein Vater.«
    »Er hat mich fliegen lassen – zumindest am Anfang. Ich glaube, er war stolz auf mich.«
    »Komm mit mir, damit du auch die anderen kennenlernst«, sagte sie. »Du gehörst zu uns.«
    »Ich kann

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