Nachtflügel
Füßen. Vom Kreischen der Diatryma bekam Dämmer weiche Knie, dabei war er es nicht einmal, der verfolgt wurde. Der flügellose Vogel war viel größer als Dyaus und Harf und konnte sie leicht mit einem Haken seines Schnabels aufschlitzen.
Dämmer schickte Klangimpulse hinter ihnen her und entnahm den zurückkehrenden Echos, dass die Equiden schneller waren, doch nicht sehr viel. Er hoffte inbrünstig, dass ihre Ausdauer ihrer Geschwindigkeit entsprach. Rasch gerieten sie im hohen Gras außer Sicht.
Der Anblick der Diatryma hatte Dämmer erschüttert. Wenn seine Kolonie vorhatte, das Grasland zu überqueren, mussten sie extrem vorsichtig sein und durften nur bei Nacht wandern. Sicherlich schliefen die Diatrymas dann wie die meisten Vögel. Die Farbe der Chiropter und ihre geringe Größe wären dann ihr einziger Vorteil.
Ihm blieb jetzt nur noch eine Stunde Tageslicht und er wollte aufbrechen. Zwischen den Bäumen jagte er schnell noch ein bisschen, wobei er mit Augen und Ohren wachsam auf die Geräusche des Waldes achtete. Andere kleine Tiere stöberten um ihn herum, doch er wollte mit keinem reden oder ihm zu nahe kommen.
Wahrscheinlich hätte er auch nicht mit den Equiden sprechen sollen, doch er hatte sich einsam gefühlt und sich nach Gesellschaft gesehnt. Einen halben Tag von der Kolonie getrennt und schon einsam! Es war ihm nie bewusst gewesen, wie sehr er auf ihre körperliche Nähe angewiesen war – der Geruch und die Wärme ihrer Körper ermutigten ihn und flößten ihm Vertrauen ein. Allein empfand er sich als schrecklich verletzbar, wie etwas Weiches ohne seine schützende Hülle.
Ausgeruht und satt startete er zum Flug über das Grasland. Dabei achtete er sehr darauf, dass seine Bahn nicht zu weit entfernt vom nächsten Baum verlief, falls er eine Pause einlegen musste.
Er entdeckte viele vierfüßige Grundlinge, die durch das Gras huschten. Alle hatte er schon einmal gesehen und keiner war ein Fleischfresser. Doch er entdeckte auch eine weitere Diatryma. Sie hatte sich im Gras versteckt und den langen Hals so zusammengezogen, dass ihr Kopf gerade die Spitzen der hohen Grashalme streifte, wodurch sie noch sehen konnte, sonst aber verborgen blieb. Ihre schwarzen Augen blitzten im Licht auf, und Dämmer wusste, dass sie das Gras nach jeder plötzlichen Bewegung absuchte, die auf ein Tier schließen ließ, das sich am Boden bewegte. Schaudernd flog er weiter.
Manchmal machte das hohe Gras rotgelben Stoppeln Platz, und offene Strecken zogen sich über die Ebene, die aber keineswegs nur flach war. Sogar von oben konnte er sehen, wie sich das Land anhob und wieder absenkte. In einem schlammigen Tümpel entdeckte er ein Wesen, das er zuerst für einen Sumpfsaurier hielt. Doch es war weder grün noch knubbelig. Es war fett und hatte kurzes, braunweißes Haar. Das Tier schien damit zufrieden, in der Brühe zu stehen, den Kopf unter Wasser zu stecken und mit vor nassem Grünzeug triefendem Maul wieder aufzutauchen.
Über das ganze Grasland verteilt entdeckte Dämmer Knochen, die von der Sonne und den Elementen blendend weiß gebleicht waren. Einige davon waren so riesig, dass er sich kaum die Größe der Lebewesen vorstellen konnte, die sie einstmals gebildet hatten. Sie gehörten, da war er sich sicher, zu den Sauriern. Was war passiert, dass sie alle zur selben Zeit krank wurden? Und warum dann nicht auch die anderen Tiere?
Die Sonne näherte sich dem Horizont. Vögel kreisten, um ihre Ruheplätze aufzusuchen. Aus allen Richtungen erklang ihr Lied der Abenddämmerung. Auch wenn es ein bisschen anders klang, als er es gewohnt war, fand er es doch tröstlich. Es war immer so ein beständiger, vorhersehbarer Teil seines Lebens gewesen: Die Vögel besangen für sie die Nacht.
Zum ersten Mal seit Tagen dachte Dämmer an Teryx. Er war freundlich gewesen, selbst dann noch, als der Rest seines Schwarms das nicht mehr war. Und die Equiden hatten auch freundlich gewirkt. In den vergangenen Tagen war es dazu gekommen, dass er jeden als Feind betrachtete, als einen, der ihn betrügen oder fressen wollte. Bestimmt war diese neue Welt doch nicht ganz so schlecht.
Der Himmel fing an, die Farbe zu verlieren, aber Dämmer flog weiter und kämpfte gegen seinen Instinkt an, nach einem sicheren Ruheplatz zu suchen. Er hatte das Gefühl, dass alles gut wäre, wenn er nur die großen Bäume auf den fernen Bergen erreichte. Er würde dort schlafen und hätte den Vormittag dafür, sich umzusehen. Dann hätte er immer noch
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