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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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ist es?«, wollte Sylph wissen.
    Mit einer Kopfbewegung wies er ihr die Richtung. »Da.«
    »Meinst du wirklich?« Sylph klang unsicher.
    Dämmer starrte wieder auf die Stelle. Nur mit den Augen war es lange nicht so klar zu erkennen. Mit Sicherheit war das Ei größer als ein Vogelei – er hatte einmal ein zerbrochenes gesehen, das auf den Waldboden gefallen war. Dies hier war größer und grober und an den Enden spitzer. Etwas schief lag es auf dem Blätterpolster.
    »Das müssen wir den anderen sagen«, meinte Dämmer.
    »Wenn wir denen das erzählen, kriegen wir großen Ärger, weil wir uns fortgeschlichen haben.«
    Dämmer dachte an den Zorn seines Vaters bei der Versammlung.
    »Aber wenn das ein richtiges Nest ist, was dann?«, fragte er aufgeregt.
    »Wir müssen ganz sicher sein, Dämmer.«
    »Woher soll ich wissen, wie ein Saurierei aussieht? Mama und Papa haben ja nie darüber gesprochen.«
    »Wenn es eines ist, wissen wir das«, sagte Sylph mit völlig unbegründeter Selbstgewissheit.
    Unentschlossen biss Dämmer die Zähne aufeinander. Er fürchtete zwar den Zorn seines Vaters, doch er konnte den Gedanken nicht ertragen, nichts zu tun, wenn das wirklich ein echtes Sauriernest war. »Ich schau zu, dass ich näher rankomme.«
    »Nein, ich gehe«, sagte Sylph. »Ich bin älter.«
    »Drei Sekunden älter!«
    »Aber ich bin schneller auf dem Boden. Du hast schwache Beine.«
    Dämmer erschrak, als er die Jagdgier in ihren Augen sah.
    »Nein«, sagte er schnell. »Ich hab es zuerst gesehen. Und einer von uns beiden muss hier oben bleiben und Wache halten.«
    Dämmer wollte nicht mit ihr darüber streiten. Und noch bevor sie widersprechen konnte, warf er sich vom Ast, segelte ins Freie und landete so dicht wie möglich bei dem Nest. Im selben Moment, in dem er aufsetzte, wusste er, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Er war noch nie auf dem Boden gewesen. Über die Schulter blickte er zurück zu den Bäumen, und sie wirkten sehr weit weg. Dann erkannte er Sylph, die vorgeneigt auf dem Ast kauerte und zu ihm herunterblickte. Er wollte ganz schnell zu ihr zurück, doch er verbot es sich, so feige zu sein.
    Auf seinen schwachen Beinen schleppte er sich durch das widerspenstige Unterholz. Dann erreichte er das Nest und kletterte auf den niedrigen Rand. Innen fiel das Nest zu einer unregelmäßigen Mulde ab.
    Auf dem Boden, nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt, lag das Ei.
    Dämmer zuckte zurück und sah sich ängstlich nach allen Seiten um. Was hatte ihn bloß geritten, dass er hier heruntergekommen war und sich selbst so angreifbar gemacht hatte? Da konnte gut ein Erwachsener in der Nähe sein. Und was war mit dem Ei selbst? War es kurz vor dem Schlüpfen oder gerade erst gelegt? Jeden Augenblick konnte es beben und anfangen zu splittern. Sogar ein frisch geschlüpfter Saurier würde größer sein als er und müsste nicht einmal kauen, um ihn zu verschlingen.
    Aber war es denn wirklich ein Ei? Er musste noch näher herangehen. Er holte Luft, hielt sie an und eilte auf das Ei zu, bis er mit der Nase die Schale berührte. Er schnüffelte. Es roch nach Erde. Er berührte es mit einer Kralle. Es war überhaupt nicht warm – müsste es nicht eigentlich warm sein? –, und als er verwirrt die Kralle zurückzog, platzte ein Stück von der Eierschale ab. Er grunzte vor Überraschung.
    Das war kein Stück Eierschale, das abgebrochen war, das war getrockneter Schlamm.
    Er blickte wieder auf das Ei, und da, wo der Schlamm abgeblättert war, konnte er sehen, was sich darunter befand.
    Ein riesiger Kiefernzapfen, der völlig von Schlamm überzogen war.
    Vor lauter Erleichterung musste er lachen. Er hätte gerne Sylph wissen lassen, dass alles in Ordnung war, aber er wollte nicht laut rufen, falls doch jemand von der Kolonie in der Nähe war. Daher hob er nur die Segel und winkte ihr zu. Doch als er bemerkte, dass sie wie wahnsinnig mit den Segeln schlug, krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen.
    Irgendetwas raschelte im Unterholz.
    Dämmer warf sich herum. Der Rand des Nests war gerade so hoch, dass er nicht sehen konnte, was sich dahinter auf dem Boden befand. Das Geräusch war sehr nahe und klang nach etwas Großem. War das ein Saurier? Sein Herz flatterte.
    Fieberhaft kletterte er auf den Rand. Das Geräusch wurde lauter. Zweige knackten. Aus dem Augenwinkel sah er ein paar Blätter auffliegen. Eine furchtbare Schwäche überkam ihn. Er war an den Boden gefesselt, er war so langsam. Er war

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