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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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hilflos.
    Noch mehr lautes Rascheln, näher als zuvor. Wenn er nichts tat, würde er gefressen. Der plötzliche in ihm siedend heiß aufsteigende Wille zu überleben ließ seine Schwäche verfliegen.
    Ehe er überhaupt wusste, was er tat, war er in die Luft gesprungen und flatterte mit den Segeln – ganz schnell. Eine Kraft, die er noch nie erlebt hatte, stieg von seiner Brust aus in die Schultern und hinunter in seine Arme, strahlte bis in die Finger wie gezackte Blitze. Sein Atem beschleunigte sich, das Herz schlug rasend schnell. Die Pausen zwischen Auf- und Abschwung verschmolzen, bis er das eine nicht mehr vom anderen unterscheiden konnte und ihm nur noch bewusst war, dass sich seine Arme und Segel in beständiger Bewegung befanden.
    Er stieg auf.
    Der Boden wich unter ihm zurück. Erst ein bisschen, dann ein halber Meter, ein Meter! Diesmal war da keine Thermik, die ihm half. Das war allein seine Kraft. Er war von der Erde befreit! Kein Feind konnte ihn mehr erwischen. Er blickte von einer Seite zur anderen, sah das Schwirren seiner Segel und verstand kaum, wie das möglich sein konnte. Es war, als wären alle seine früheren unterdrückten Impulse zu flattern schließlich explosionsartig freigesetzt worden.
    Unter ihm drängte sich etwas mit Flügeln aus dem Unterholz und in die Luft, es hatte den Schnabel voller Zweige.
    Es war nur ein Vogel, der etwas für sein Nest gesucht hatte! Der also hatte ihn halb zu Tode erschreckt. Auf dem Boden hatte er so riesig geklungen.
    Dämmer stieg jetzt nicht länger nur auf, er bewegte sich nun vorwärts und wurde schneller. Als er nach oben zu den Bäumen abdrehte, schwenkte er von einer Seite zur anderen und wusste nicht richtig, wie er, wenn er sich selbst antrieb, steuern sollte. Sein ganzer Körper war ihm plötzlich fremd und er traute sich keine Landung zu. Dann erblickte er Sylph, die ihn von der Astspitze aus fassungslos anstarrte. Da hörte er auf zu flattern, stellte die Flügel fest und glitt schwankend nach unten neben sie.
    »Du bist geflogen«, japste sie.
    »Ich bin geflogen«, keuchte er.
    Eine Weile, während er wieder zu Atem kam, sagten beide nichts.
    »Es ist die Schnelligkeit«, sagte er aufgeregt. »Früher habe ich einfach nicht schnell genug geflattert.«
    »Früher? Hast du das früher schon mal versucht?«, rief Sylph aus.
    Er fuhr zusammen, doch sein Geheimnis war nun gelüftet. »Na ja, ein paar Mal.«
    »Auf dem Oberen Holm, stimmt’s?«, sagte sie. »Ich hab’s gewusst! Ich hab gewusst, dass du da oben irgendwas Verrücktes treibst!«
    »Ich hab versucht, die Vögel nachzumachen, aber das hat nicht geklappt, weil die nicht so schnell flattern müssen wie ich.«
    Sylph beugte sich eifrig vor. »Zeig es mir.«
    »Nicht hier«, sagte er. Er hatte Angst, jemand vom Suchtrupp könnte sie hören oder sehen und würde kommen, um nachzuschauen.
    Sie glitten ein Stück zurück in den Wald und ließen sich auf einem ausladenden Baum nieder.
    Dämmer holte Luft, schloss die Augen und versuchte, das genaue Gefühl für das Fliegen wieder aufzurufen. Er fand es einfacher, es mit den Segeln zu demonstrieren.
    »Runter und nach vorne, also so, strecken, und dann musst du sie durchbiegen …«
    »An Ellbogen und Handgelenk abwinkeln?«, fragte Sylph und beobachtete ihn aufmerksam.
    »Ja. Und dann, schau her, dann bringst du sie direkt nach oben, aufgestellt. Weit über den Kopf. Und dann geht alles wieder von vorne los.«
    »Das ist alles?«, fragte Sylph unbeeindruckt.
    »Das ist alles.«
    »Das dürfte kein Problem sein.«
    »Du musst schnell flattern«, sagte Dämmer ein bisschen verärgert. Wenn sie so aufgeblasen tat, wollte er vielleicht gar nicht, dass sie auch fliegen konnte.
    »Wie schnell?«
    »So schnell du nur kannst.«
    »Gut.« Und damit sprang Sylph.
    Als sie sich von den Ästen entfernt hatte, pumpte Sylph ihre Segel auf und nieder. Sie gab sich große Mühe, doch ihre Bewegungen waren lahm und ihre Segel blähten sich bei jedem Schlag. Wütend peitschte sie die Luft, doch langsam, aber sicher bewegte sie sich nur immer weiter abwärts.
    »Halt die Segel straff!«, rief Dämmer. Obwohl er sich über sie geärgert hatte, wollte er nicht, dass sie scheiterte. Wenn sie das könnte, hieße das, dass auch andere das könnten, und dann wäre er damit nicht mehr allein. Er wollte keine Missgeburt sein. »Schlag schneller. Und denk an das Beugen beim Aufschwung.«
    Es ging nicht, aber sie ließ nicht locker, während sie immer weiter fiel. Von

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