Nachtflügel
ganz klein, und Dämmer war klar, dass sie versuchte, tapfer zu sein. »Nova hat recht.«
»Das war Papas Entscheidung«, sagte Dämmer energisch.
Erschöpft kam ihr Vater zu ihnen herüber und berührte sie beide mit der Nase.
»Gehen wir wirklich weg?«, fragte Dämmer und versuchte, nicht die Wunden seines Vaters anzuschauen.
»Leider ja. Ich muss das jetzt den anderen Familien mitteilen, bin aber bald zurück. Ihr beide müsst euch jetzt ausruhen.«
Während er zusah, wie sein Vater wegging, konnte er nur mit Mühe ein Wimmern unterdrücken. Hier wollte er nicht schlafen. Geschlafen werden sollte im Mammutbaum in den tiefen Furchen ihres Rastplatzes mit Mama, Papa, Sylph und ihm. Alle zusammen aneinandergeschmiegt und warm. Wie sollte er hier überhaupt schlafen können? Sein Herz raste vor Angst.
»Ist schon gut, Dämmer, er kommt zurück«, sagte seine Schwester.
Sie ließ sich neben ihm nieder und drückte sich fest an ihn. Er drückte zurück. Das war tröstlich, doch es erinnerte ihn auch daran, wie sehr sie als Familie geschrumpft waren. Sylph und er sprachen nicht, sondern lagen nur ganz still da. Nach einer Weile hörte er auf zu zittern. Er wusste nicht, ob sie schon eingeschlafen war.
Erst als sein Vater zurückkam und sich zu ihnen legte, fühlte er sich sicher genug, um den Schlaf zuzulassen.
Die Nacht versickerte langsam und ließ einen farblosen Himmel über den Baumkronen des Waldes zurück.
Dämmer freute sich nicht über das heraufziehende Tageslicht. Er fühlte sich, als hätte er fast gar nicht geschlafen. Immer wieder war er zwischen den fremden Ästen aufgeschreckt. Wenn er dann zurück in den Schlaf glitt, wurden seine schlummernden Gedanken lebendig. Er sah Dinge, die überhaupt nicht bemerkenswert waren: Insekten auf einem Ast, einen Pilz, seine Mutter mit gerunzelter Stirn, und doch waren sie in seinem Schlaf unheilschwanger und schreckten ihn mit heftig pochendem Herzen hoch, als hätte er ein Monster gesehen.
Während der Nacht hatte er die Betriebsamkeit in den Ästen mitbekommen, wenn die Wachposten sich abwechselten und Chiropter, die nicht schlafen konnten, sich unterhielten. Manchmal schrie ein Neugeborenes erschreckt auf, und seine Eltern zwitscherten dann sanft, um es wieder zu beruhigen.
»Wie geht es deiner Verletzung?«, fragte Dämmer, als sein Vater neben ihm aufwachte.
»Fühlt sich schon besser an«, entgegnete der.
Dämmer fand nicht, dass sie besser aussah, doch er sagte nichts mehr und wollte lieber seinem Vater glauben.
»Ich muss dich bitten, etwas zu übernehmen«, sagte sein Vater ernst.
Dämmer wartete und sein Magen kribbelte.
»Als Vater möchte ich dich das lieber nicht fragen, aber als Anführer bin ich dazu gezwungen. Wir brechen bald zur Küste auf, und ich brauche dich dafür, dass du vorausfliegst und einen Weg für uns findest.«
»Ja«, sagte Dämmer, froh, sich als nützlich erweisen zu können, und stolz darüber, dass sein Vater ihn für diese Aufgabe für mutig und fähig genug hielt.
»Niemand sonst ist so schnell wie du und kann so weit sehen«, sagte Ikaron. »Doch du musst mir versprechen, vorsichtig zu sein.«
Dämmer nickte.
»Ich muss jetzt los und unsere Reise organisieren.«
Als ihr Vater gegangen war, blickte Sylph Dämmer an. »Wenigstens kannst du mal wieder fliegen.«
Das stimmte zwar, doch Dämmer konnte sich darüber nicht freuen.
Den Aufbruch der Kolonie zu planen und organisieren verschlang den größeren Teil des Vormittags. Dämmer lenkte sich mit essen ab, obwohl ihm eigentlich übel war. Ständig musste er pinkeln. Der Gedanke, alleine vorauszufliegen, machte ihm große Angst. Er befürchtete, von einem Feliden entdeckt zu werden, doch noch mehr hatte er Angst davor, ganz alleine zu sein. Gerade jetzt hätte er lieber seinen Vater und Sylph immer dicht bei sich gehabt.
Allmählich holte ihn der volle albtraumhafte Horror des vergangenen Abends ein. Da war er viel zu verzweifelt damit beschäftigt gewesen, einfach nur zu überleben. Er konnte es immer noch kaum glauben, wie er es geschafft hatte, überhaupt etwas zu tun: zu fliegen und gleichzeitig Pläne zu machen, wie sie entkommen konnten.
Gegen Mittag waren sie bereit zum Aufbruch. Die Feliden lungerten höchstwahrscheinlich noch im Mammutbaum herum. Jedenfalls hatte das sein Vater gesagt. Während des Tages, vor allem aber in den heißesten Stunden, vermieden sie jede Kraftanstrengung. Sie schliefen dann oder pflegten sich. Somit wäre das die beste
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