Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
Zeit für die Chiropter, ihren Abzug zur Küste durchzuführen.
    »Wir haben Wachen, die uns Seiten- und Rückendeckung geben«, informierte Ikaron Dämmer. »Wir segeln hinter dir her. Sobald du einen Feliden siehst, fliegst du zurück und gibst uns sofort Bescheid. Bist du bereit?«
    »Ja.«
    Dämmer brach auf. Er ertappte sich dabei, wie er durch die Bäume spähte, um von ferne noch einen Blick auf ihren Mammutbaum zu werfen. Er entdeckte ihn nicht, und doch spürte er, wie ihm die Kehle eng wurde. Einen Moment lang verschwamm ihm alles vor den Augen. Nie mehr würde er seine Mutter sehen. Aber er versprach sich selbst, dass er eines Tages wieder auf seinen Geburtsort hinunterblicken würde. Doch nun zwang er den Blick in eine andere Richtung, suchte sich einen Ast und landete, um den Wald zu überprüfen.
    Er wartete, bis hinter ihm die Kolonie in Sicht kam, und flog dann weiter voraus, wie ihn sein Vater angewiesen hatte.
    Mit den Stunden wanderte das Licht durch den Wald. Die Chiropter kamen nur langsam voran und Dämmer musste seine Ungeduld zügeln. Sie konnten immer nur ein Stück gleiten, dann mussten sie landen und für einen weiteren Sprung nach oben klettern. Und alle waren natürlich bereits vor ihrem Aufbruch erschöpft und inzwischen erreichte die Hitze des Tages ihren Höhepunkt. Häufig wurde eine Pause ausgerufen, damit sie essen und trinken konnten.
    Dämmer entdeckte keine Feliden. Doch die Vögel waren in den Wald zurückgekehrt. Er sah sie über sich in den Bäumen und am Himmel umherfliegen, und er hoffte, Teryx würde ihn erspähen, zu ihm kommen und mit ihm reden. Der Wald wirkte nun so ruhig, dass er sich unwillkürlich fragte, ob es wirklich nötig sei, die Insel zu verlassen. Vielleicht gab es ja doch noch die Möglichkeit, dazubleiben und einfach nur wachsamer zu sein. Doch er musste auch daran denken, wie Reißzahn seinen Vater mit den Pfoten gepackt hatte und wie seine Mutter losgesprungen war, um ihrem Gefährten zu helfen.
    Solange die Feliden blieben, konnten sie hier niemals sicher sein.
    Schließlich hörte der Wald auf und der Boden fiel zu einem steinigen Strand ab. Auf der anderen Seite des Wassers erhob sich das Festland. Erst gestern hatte Dämmer es gesehen, allerdings aus größerer Höhe. Jetzt, von den Bäumen am Waldrand aus, wirkte es viel eindrucksvoller – ein großer Wall aus Felsen und dunklem, üppigem Pflanzenwuchs, der viel höher aufragte als auf ihrer Insel. Nun war es mitten am Nachmittag, das Wasser stand noch hoch.
    Sylph war zum Jagen fortgeglitten, aber Dämmer blieb dicht bei seinem Vater. Er hatte im Moment sowieso keinen richtigen Hunger. Sein Vater wirkte müde. Das Blut aus seiner Wunde war geronnen und hatte sein Fell steif und völlig verfilzt werden lassen. Mama hätte die Wunde sauber geleckt und das Fell so lange gepflegt, bis es wieder ordentlich ausgesehen hätte. Ob sein Vater große Schmerzen hatte? Dämmer wollte nicht fragen, nicht vor so vielen Chiroptern. Es wäre nicht günstig, wenn sein Vater schwach erschien, jedenfalls nicht jetzt.
    Dämmers Vater schnüffelte und schmeckte die Luft.
    »Erinnert ihr euch an den Übergang?«, fragte Ikaron die drei Ältesten, die neben ihm auf dem Ast kauerten.
    »Wir hatten den Wind von hinten, glaube ich«, sagte Sol. »Das hat uns schneller gemacht.«
    »Und wir haben uns von den höchsten Bäumen geworfen«, fügte Barat hinzu. »Waren das nicht die da drüben? Ich denke schon.«
    »Selbst aus dieser Höhe haben wir den Wind von hinten gebraucht«, sagte Nova. »Und trotzdem gab es welche, deren Gleitbahn sie nicht sicher bis ans andere Ufer gebracht hat.«
    Dämmer spähte in ihrem Baum nach oben. Der würde ihnen nicht die Höhe verschaffen, mit der sie etwas anfangen konnten.
    Die Ältesten schienen dasselbe zu denken, denn Sol fragte: »Ist das hoch genug, um hinüberzukommen? Ich bin mir da nicht so sicher.«
    Sie blickten alle auf das Wasser hinab.
    »Wann zieht es sich zurück?«, wollte Barat wissen.
    »Ist das zur selben Zeit wie gestern?«, fragte Dämmer.
    Nova starrte ihn an und Dämmer wandte die Augen ab. Bei diesem Gespräch war er absolut fehl am Platz. Es war einfach mit ihm durchgegangen. Ihr ganzes Leben lang hatten er und Sylph Dinge mitgehört, die nicht für sie bestimmt waren. Weil sie Ikarons Neugeborene waren, konnten sie oft ganz unauffällig dableiben, wenn Angelegenheiten der Kolonie besprochen wurden. Andere Neugeborene wären gescholten und weggeschickt worden,

Weitere Kostenlose Bücher