Nachtflügel
so gelitten habt. Ich kann aber nur sagen, dass Reißzahn und seine Meute Ausgestoßene sind und nichts mit den anderen Königreichen der Feliden gemein haben. Doch wenn wir darangehen, unsere eigene Art zu töten, sind wir dann nicht genauso schlecht wie Reißzahn?«
»Nein«, sagte Ikaron. »Weil er das Recht zuerst gebrochen hat. Er ist eine Belastung für alle Tiere. Patriofelis’ Entscheidung ist nicht gerecht, und sie bestraft meine Kolonie, indem sie uns unserer Heimat beraubt.«
»Ich gebe zu«, sagte Montian, »dass deine Kolonie unangemessen leidet, doch Patriofelis ist der Meinung, dass seine Lösung am besten für das allgemeine Wohl ist, wenn man alles recht bedenkt.«
Dämmer konnte sehen, wie sich seinem Vater das Fell im Nacken sträubte, genau wie sein eigenes. Er hasste es, wie diese Tiere über sie bestimmten.
»Das ist Patriofelis’ Entscheidung«, sagte Montian. »Ich bin lediglich der Übermittler.«
»Ich danke dir, Montian«, sagte Gyrokus. »Wir haben verstanden. Übermittle unsere besten Empfehlungen und unseren Dank an deinen Anführer.«
Der Felid nickte Gyrokus und Ikaron zu, dann sprang er den Baum hinunter. Dämmer stieß die Luft aus und sein Herz hämmerte vor Wut.
»So darf sich ein Verbündeter nicht benehmen«, bemerkte Ikaron zu Gyrokus.
Der narbenbedeckte Chiropter grunzte nur. »Du musst bedenken, dass die Feliden unsere mächtigsten Verbündeten sind. Wir sind auf ihre Freundschaft angewiesen. Es ist das Beste, wenn wir sie nicht verärgern.«
Dämmer blickte Gyrokus mit schmalen Augen an. Dieser raue Chiropterführer hatte Ikaron vor Montian mit keinem Wort unterstützt. Die Neuigkeiten schienen ihn nicht besonders aus der Fassung gebracht zu haben. Es war nicht gerecht, dass Reißzahn erlaubt wurde, ihre Insel mit ihrem Baum zu übernehmen. Dämmer liebte diesen Riesen und jeden Knubbel auf seiner Rinde.
»Sie sollten ihre Soldaten hinschicken und ihn töten«, flüsterte Sylph neben ihm, und Dämmer konnte gar nicht anders, als ihr zuzustimmen, egal, wie brutal das klang.
»Es sieht so aus, als wäre unsere Heimat endgültig für uns verloren«, sagte Ikaron.
»Ihr werdet eine neue finden«, sagte Gyrokus. »Hier, wenn ihr wollt.«
Dämmer blinzelte erstaunt.
»Meine Ältesten und ich haben lange beraten«, fuhr Gyrokus fort. »Ihr habt viel erlitten und ihr braucht eine neue Heimstatt. Ihr seid herzlich eingeladen, euch meiner Kolonie anzuschließen. Wirklich sehr herzlich.«
»Das ist ein außergewöhnlich großzügiges Angebot«, sagte Sol.
Dämmer bemerkte, dass Sylph ihm einen Blick zuwarf.
»Ich danke dir, Gyrokus«, erwiderte Ikaron. »Natürlich muss ich das mit meinen Ältesten besprechen.«
»Wir fühlen uns von deinem Angebot sehr geehrt«, sagte Nova mit warmer Stimme.
»Wir ebenfalls«, fügte Barat hinzu.
»Auch meine Familie würde diesen Ort als neues Heim begrüßen«, schloss sich Sol an.
Dämmer war überrascht davon, wie schnell die Ältesten entschieden hatten. Er wusste, dass er mehr Dankbarkeit empfinden sollte, konnte es aber nicht. Sich vorzustellen, hier für eine kurze Zeit zu bleiben, war eine Sache. Aber für immer? Hier, wo er nie darauf hoffen konnte, er selbst zu sein, zu fliegen? Das würde er nicht aushalten. Er musste einfach fliegen!
»Je zahlreicher wir sind, desto stärker werden wir sein!«, erklärte Gyrokus. »Sollte es je zu einem Krieg kommen, sind wir zusammen umso mächtiger. Schließt euch uns also an und gedeiht mit uns.« Er blickte Ikaron an. »Du würdest natürlich auch bei uns ein geehrter Ältester sein.«
Aber kein Anführer, wurde Dämmer blitzartig klar.
So weit hatte er noch gar nicht vorausgedacht. Sich einer anderen Kolonie anzuschließen bedeutete nicht einfach nur eine neue Heimat, es bedeutete auch einen neuen Anführer. Ihm wurde ganz elend. Er beobachtete seinen Vater und versuchte abzuschätzen, was er wohl dachte.
»Die Entscheidung liegt nun bei dir, mein Freund«, sagte Gyrokus zu Ikaron.
Dämmer wartete und spürte, wie die ganze Kolonie, die in den Bäumen verstreut saß, genauso wie er den Atem anhielt und hoffte.
»Die Sicherheit meiner Kolonie ist mein wichtigstes Anliegen«, sagte Ikaron. »Und ich weiß, sie würde hier ein vorzügliches Heim finden. Gib mir noch etwas Zeit, dein freundliches Angebot zu bedenken, Gyrokus.«
Dämmer war erleichtert, doch er hörte Sylphs enttäuschtes Seufzen, das sich leise durch die Äste fortzusetzen schien.
»Natürlich«, sagte
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