Nachtflügel
sich entscheidet, zur Meute zurückzukehren, soll jetzt vortreten. Es ist nicht zu spät. Alles wird vergessen und vergeben sein und wir werden weiter im Einklang mit den anderen Tieren leben.«
»Er schlägt euch vor, euch selbst zu verleugnen«, wandte Reißzahn sich an seine Feliden. »Er schlägt euch vor, euer natürliches Verlangen zu verleugnen. Wärt ihr damit zufrieden, einem solchen Anführer zu dienen?«
»Mein Angebot gilt ebenso für dich, Reißzahn.«
Reißzahn knurrte gefährlich und sah, wie Patriofelis und seine Schar zurückzuckten.
»Ich weise dein Angebot zurück.«
»Das ist sehr bedauerlich«, sagte der alte Felid, »da die Alternative sehr viel weniger erfreulich ist. Wenn ihr weiter auf euren abscheulichen Gebräuchen besteht, wird diese Insel für den Rest eures Lebens eure Heimat sein. Die Tiere werden nicht zulassen, dass ihr mordend durch die Welt zieht. Du bist hierher verbannt, Reißzahn, und auch deine ganze abartige Meute!«
Nur wenige Stunden zuvor wäre die Aussicht darauf, das Leben auf der Insel zu verbringen, nicht so düster erschienen. Jetzt aber mit dem plötzlichen Auftauchen der Raubvögel war es wahrscheinlich ein Todesurteil.
»Wir sind nicht an eure Gesetze gebunden«, fauchte Reißzahn.
»Wir werden die Insel bewachen. Wer auch nur eine Pfote auf das Festland setzt, wird getötet.«
»Du würdest deine Mitfeliden töten, Patriofelis?«
»Ja, um weiteres Morden zu verhindern.«
»Ich habe da so meine Zweifel an deiner Entschlossenheit«, höhnte Reißzahn.
»Das ist unklug«, antwortete Patriofelis. »Wer von euch den zurückliegenden Verbrechen abschwören und sich erneut seiner wahren Meute anschließen will, soll vortreten.«
Reißzahn musterte die Mitglieder seiner Meute. Aus den Bäumen hinter ihnen waren ein trauriger Ruf und die Antwort darauf zu hören. Tigran blickte ihn verstohlen an und ging dann schnell auf Patriofelis zu.
»Gut gemacht, Tigran. Du hast klug entschieden. Noch weitere?«
Zu Reißzahns Überraschung und Beschämung wechselten noch fünf weitere Feliden die Seite.
»Wie deine Gruppe dahinschwindet«, sagte Patriofelis.
Reißzahn schaute Panthera an, die seinem Blick noch immer auswich. Während die Sonne höher stieg, schlug das Meerwasser ungeduldig gegen die Sandbrücke.
»Euch Übrigen«, sagte Patriofelis und blickte dabei insbesondere Reißzahn an, »kann ich als Bestes nur einen schnellen Tod wünschen.«
Ein riesiger Schatten fiel über den alten Anführer der Feliden und Sekunden später umhüllten gefiederte Schwingen Kopf und Körper. Patriofelis stieß einen grässlichen Schrei aus, sprang hoch, drehte sich um sich selbst und versuchte, den Raubvogel abzuschütteln. Doch Reißzahn kannte diese Klauen und wusste, wie tief sie eindrangen, und der Vogel hielt den Feliden eisern fest.
Panthera sprang ihrem Anführer zur Seite, schlug ihre Zähne in den Schwanz des Raubvogels und zog daran. Der Vogel wirbelte den Kopf herum, sodass er beinahe nach hinten blickte, und schlug mit seinem gekrümmten Schnabel zu. Panthera fiel zurück und der Raubvogel hob Patriofelis vom Boden hoch und schleppte ihn mit machtvollen Flügelschlägen in den Wald.
Plötzlich war die Luft voller Flügel, als weitere dieser Vögel auf sie zuschossen. Die Feliden stoben voller Entsetzen auseinander.
»Kommt mit mir!«, schrie Reißzahn seiner Meute zu.
In dem entstandenen Chaos sah er eine Chance, die er sich nicht entgehen lassen wollte. Die Sandbrücke war in Reichweite und fing gerade an, unter einer dünnen Schicht Wasser zu verschwinden. Er stieß, knurrte und biss sich durch Patriofelis’ verbliebene Garde. Plötzlich führerlos geworden, gerieten die Soldaten in Panik, und einige zogen sich über die Sandbrücke zurück, andere rannten auf den Wald der Insel zu, um dort in Deckung zu gehen.
»Los!«, schrie Reißzahn seine Meute an. »Rüber!«
Er ließ seine Feliden zuerst die Sandbrücke überqueren und bildete selbst die Nachhut, falls einer von Patriofelis’ Soldaten versuchen sollte, sie von hinten anzugreifen. Auf die hagelten die Vögel geradezu herunter. Entsetzt sah Reißzahn, wie einer sich auf Panthera stürzte. Sie drehte sich schnell zur Seite, doch trotzdem konnte der Raubvogel noch seine Klauen in ihrer Flanke versenken. Sie schrie auf, wand sich und schlug mit ihren Krallen nach dem Vogel, der über ihr schwebte und sie mit seinen Flügeln peitschte.
Ihre Kameraden waren zu verschreckt, um ihr zu Hilfe zu kommen.
Weitere Kostenlose Bücher