Nachtflügel
seine ganze blasierte Selbstgefälligkeit.
»Ich bin nicht so grausam«, fuhr Gyrokus fort. »Doch wenn ich euch in unserer Kolonie akzeptieren soll, so müsst ihr eurer Vergangenheit abschwören. Dann erst weiß ich, dass ihr vertrauenswürdig seid.«
»Du möchtest, dass ich meine Vergehen eingestehe?«, fragte Ikaron ruhig.
»Das ist eine ganz einfache Sache und nur allzu rechtens«, sagte Gyrokus und ein Teil seiner Warmherzigkeit kehrte zurück. »Mein Freund, du trägst offensichtlich tiefe Sorge für deine Kolonie und das ist eine hervorragende Eigenschaft für einen Anführer. Jetzt musst du für sie sorgen, indem du ihr eine neue Heimat verschaffst, einen sicheren Hafen. Schließt euch uns an. Doch zuerst sag mir und allen hier Versammelten, dass du deine verräterische Entscheidung bereust, den Pakt verlassen zu haben, dann kann ich sicher sein, dass ich dir vertrauen kann.«
»Tu es einfach«, hauchte Sylph.
Dämmer konnte spüren, wie ihr der Zorn vom Fell aufstieg wie Dampf von heißer Rinde.
»So etwas werde ich nicht tun«, sagte Ikaron. »Ich kann es nicht.«
Glühender Stolz durchfuhr Dämmer.
»Dann kann ich euch nicht helfen.« Gyrokus’ Stimme war hart vor Wut. »Dann macht euch auf den Weg. Wandert weiter. Keine Chiropterkolonie wird euch aufnehmen, wenn sie erst einmal weiß, wer ihr seid und was ihr getan habt. Dafür werde ich sorgen. Ihr habt euch selbst zu Flüchtlingen gemacht.«
»Das ist ungerecht!«, rief Nova, und zuerst dachte Dämmer, es sei gegen Gyrokus gerichtet. Doch sie drehte sich zu Ikaron. »Du verurteilst uns alle zu deinem Schicksal, nur wegen deiner dummen Ideale.«
»Das sind keine dummen Ideale«, sagte Sol verärgert. »Und vor allem nicht die von Ikaron allein. Ich teile sie und Barat teilt sie. Und dir waren sie auch mal wichtig.«
»Uns war eine Heimat angeboten worden!«, sagte Nova.
»Wir brauchen nicht die Heimat anderer«, sagte Ikaron. »Wir werden unsere eigene finden.« Er wandte sich an Gyrokus. »Ich danke dir, dass du uns beherbergt hast. Wir brechen sofort auf.«
Reißzahn beobachtete, wie Patriofelis mit seinen fünfundvierzig Soldaten auf der Sandbrücke vorrückte. Er fragte sich, wie sie sich wohl im Kampf verhalten würden. Sie waren stark, doch sie hatten nie gejagt und vor allem hatten sie nie etwas gerissen. Wären sie überhaupt bereit, ihre eigene Art anzugreifen und zu töten? Diese Frage stellte er auch in Bezug auf seine eigene Meute.
Patriofelis’ Schar erreichte die Insel, schwärmte auf dem Strand aus und blockierte die Brücke. Reißzahns Blick kehrte immer wieder zu Panthera zurück. Sie vermied es, ihn anzusehen. Ihre Anwesenheit machte es offensichtlich, dass sie ihm gegenüber keine Treue empfand, und doch war er immer noch froh, sie zu sehen.
»Hierher bist du also geflüchtet, Reißzahn«, sagte Patriofelis.
»Wir sind nirgendwohin geflüchtet«, betonte Reißzahn. »Wir haben eine neue Heimat gesucht.«
Patriofelis schien seine Gruppe durchzugehen. »Wo ist Miacis?«, fragte er.
»Tot.«
Reißzahn konnte ein überraschtes Aufstöhnen seiner Meute hören.
»Was ist ihr passiert?«, fragte Tigran.
Reißzahn beachtete ihn nicht. Seine schmalen Augen waren hasserfüllt auf seinen alten Anführer gerichtet.
»Tot!«, wiederholte Patriofelis so laut, dass alle es hören konnten. »Was für eine Schande, eine deiner Stärksten zu verlieren. Was für ein gefährliches Leben du gewählt hast. Doch in einer Beziehung hattest du recht, Reißzahn: Die Welt verändert sich und wird gefährlicher. Es gibt Gerüchte, dass sich neue Lebewesen aus dem Osten nähern, und niemand weiß, ob sie Freund oder Feind sind. Auch die Vögel sind aggressiver geworden, ohne Zweifel weil du ihre Nester geplündert hast. Wir Tiere müssen zusammenstehen. Und du bist traurigerweise zu einer gefährlichen Belastung für jedes neue Bündnis geworden. Wir werden nicht zulassen, dass du unsere Welt aus dem Gleichgewicht bringst.«
»Wir haben kein Verbrechen begangen«, sagte Reißzahn. »Wir ernähren uns wie alle anderen Wesen auch, nur dass unsere Beute nicht dieselbe ist wie eure. Wer weiß schon, was richtig ist oder falsch? Unser Verlangen nach Fleisch ist genauso natürlich wie eures nach Maden und Samen.«
»Genug von diesem Gerede«, sagte Patriofelis verächtlich. »Ich bin gekommen, um euch eine letzte Chance auf Begnadigung zu bieten.« Er wandte sich an die Feliden, die hinter Reißzahn aufgereiht standen. »Jeder von euch, der
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