Nachtflügel
den Blätterstaub und mischte alles mit seinen beweglichen Fingern zusammen, ehe er es wieder in den Mund schob und erneut schnell kaute. Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, trat Adapis dichter an Ikaron heran und spuckte ihm die grüne Paste auf die Wunde.
»Glaubst du, dass das wirklich hilft?«, flüsterte Sylph Dämmer bestürzt zu.
Dämmer zuckte mit den Schultern. Der grüne Schleim, der aus Adapis’ Mund tropfte, sah dem fauligen Eiter sehr ähnlich, der sich bereits um die Wunde ihres Vaters verklumpt hatte.
»Keine Sorge«, sagte Adapis und blickte zu ihnen herüber. »Dieser Schnitt ist böse entzündet. Die Paste bekämpft die Entzündung und beschleunigt die Heilung. Ihr müsst uns vertrauen. Wir wissen eine Menge darüber, was Pflanzen bewirken können.«
»Es lindert den Schmerz schon jetzt«, sagte Ikaron, schloss die Augen und seufzte.
»Gegen Sonnenuntergang reinigen wir die Wunde erneut und tragen noch etwas auf.«
»Danke, Adapis«, sagte Ikaron.
»Am wichtigsten ist aber, dass du ruhst. Du und deine Kolonie, ihr könnt so lange hier bleiben, wie ihr wollt.«
Nachdem er so viele Tage seine Ängste unterdrückt hatte, spürte Dämmer, wie er vor Erleichterung und Dankbarkeit zitterte.
Sein Vater schlief schnell ein. Normalerweise schlief er nie während des Tages, und Dämmer wurde es erst jetzt richtig klar, wie müde und krank er in diesen letzten Tagen gewesen sein musste und sich doch dazu zwang, weiterzumachen.
»Komm, wir gehen jagen«, sagte Sylph.
Dämmer war hungrig, doch bei dem Gedanken, seinen Vater allein zu lassen, wurde er seltsam nervös. Sein ganzes Leben lang war er davon ausgegangen, dass die wachsamen Augen seines Vaters auf ihm ruhten und gewährleisteten, dass ihm nichts zustieße – oder der Kolonie. Nun waren diese Augen geschlossen, und sein Vater wirkte so verletzbar, dass Dämmer das Gefühl hatte, auf ihn aufpassen zu müssen.
»Er ist noch da, wenn wir zurückkommen«, sagte Sylph. »Komm schon.«
Dämmer sagte sich, dass er töricht war, doch trotzdem ging er nur widerstrebend mit.
Die Jagd verlief ausgezeichnet. Womöglich gab es hier noch mehr Insekten als auf der Insel, und sie mussten sich kaum anstrengen, um sie zu fangen. Es machte den Eindruck, als hätten die Insekten hier noch keine Erfahrungen mit Räubern aus der Luft gemacht.
Mit Sicherheit fraßen die Baumrenner sie nicht. Sie zogen offenbar Früchte und Samen vor, die sie in den Bäumen fanden, und besonders liebten sie Maden und Wurzeln, die sie mit ihren geschickten Händen aus dem Boden gruben. Sie schienen wirklich viel über die ganzen Pflanzen in ihrem Wald zu wissen, und Dämmer sah, wie sie Verschiedenes mischten und zu einer Paste zerdrückten, bevor sie es aßen. Er bewunderte sie ein bisschen. Sich vorzustellen, so viel zu wissen und auch noch mit den Händen etwas herstellen zu können!
Er blickte zu Sylph hinüber. Es war schön, dass sie an seiner Seite glitt. Er hatte sie vermisst.
»Warum bist du so oft weg gewesen?«, fragte er, während sie einen Baum hochkletterten.
»Ich weiß nicht.« Sie überlegte kurz. »Ich war böse auf Papa, weil er uns nicht bei Gyrokus hatte bleiben lassen. Und dann habe ich es nicht mehr ertragen, wie er so schwach und immer schwächer wurde. Ich hab das nicht sehen wollen. Ich hatte Angst, er würde sterben.«
Ihre hinteren Krallen rutschten von der Rinde ab, und Dämmer merkte, dass sie zitterte. Er kletterte neben sie und legte sein Gesicht an ihre Wange und Schulter.
»Jetzt ist alles gut«, sagte er. »Sie machen, dass es ihm besser geht.«
Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum verstand. »Ich will Mama zurückhaben.« Es waren nur vier Wörter, doch sie führten dazu, dass auch aus Dämmers Kehle ein Wimmern aufstieg. Er versuchte so sehr, die Gedanken an seine Mutter zu verdrängen, weil sie ihm nur Schmerzen bereiteten. Jedes Mal, wenn er daran dachte, dass er ihr nie mehr nahe sein würde, stieg ein körperlicher Schmerz in ihm auf.
»Ich hasse sie«, sagte Sylph, »die Feliden. Sie haben uns alles genommen.«
»Wir finden ein neues Zuhause«, sagte Dämmer.
»Ich will kein anderes Zuhause«, sagte sie. »Ich will mein altes zurück.«
»Eines Tages bestimmt.«
»Ich will, dass die Dinge wieder so werden, wie sie waren.«
»Ich auch.«
An ihren unverblümten Zorn war er gewöhnt, doch nicht an ihren offen gezeigten Kummer, der in ihm den heftigen Wunsch auslöste, alles wieder in Ordnung zu bringen, – und
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