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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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gejagt.«
    »Und du bist nie dabei erwischt worden?«, fragte er erstaunt.
    Panthera schurrte amüsiert. »Ich war vorsichtiger als du. Ich bin weiter rausgegangen. Ich wollte nicht ausgestoßen werden.«
    »Du wolltest bei Patriofelis’ Meute bleiben?«
    »Ich war nicht so mutig wie du – oder so unbesonnen. Ich hab die Geborgenheit der Meute geliebt, und ich hab gedacht, ich könnte meine Gelüste weiter insgeheim befriedigen.«
    Reißzahn betrachtete sie mit neuem Respekt, aber auch mit einer gewissen Vorsicht. Wem gehörte denn jetzt ihre eigentliche Loyalität?
    »Und hättest du mich getötet«, verlangte er zu wissen, »wenn Patriofelis den Befehl erteilt hätte?«
    Sie wich seinem Blick aus. »Das wäre ja alles nicht nötig gewesen, wenn du bei uns geblieben wärst. Du hättest Patriofelis belügen und ihn beschwichtigen können. Dann hätten wir mehr Zeit gehabt, Unterstützung in der Meute zu finden. Wir hätten Patriofelis zwingen können, sich zu ändern – oder ihn gestürzt. Und du wärst dann der Anführer von Hunderten anstatt von einem Dutzend.«
    »Solche Doppelzüngigkeit passt nicht zu mir.«
    »Doppelzüngigkeit oder Schläue?«
    »Ich hab mich als der gezeigt, der ich war, und die Konsequenzen akzeptiert. Diejenigen mit derselben Stärke sind mir gefolgt. So wird eine neue Meute gegründet.«
    »Dann gehöre ich vielleicht nicht zu dir«, sagte Panthera und aus ihren Augen schossen wütende Blitze wegen der Zurechtweisung.
    Reißzahn hatte sie noch nie so temperamentvoll erlebt, es ärgerte und faszinierte ihn zugleich. »Die Entscheidung liegt allein bei dir«, sagte er.
    Sie kam zu ihm und drückte ihren Kopf gegen seinen. »Du bist jetzt mein einziger Anführer«, sagte sie.
    Reißzahn führte seine Meute nach Norden. Sie waren jetzt siebzehn. Sein verwundetes Vorderbein heilte zwar, aber er hinkte noch immer. Doch mit Panthera wieder an seiner Seite empfand er eine grenzenlose Kraft und Zuversicht.
    Beute konnte es reichlicher nicht geben. Die Welt war wirklich dabei, sich zu verändern. Noch nie hatte er eine so große Menge von Tieren erlebt, die sich durch den Wald bewegten. Einige schienen bessere Jagdgründe zu suchen, andere behaupteten, sie müssten um ihr Leben flüchten. Mit so vielen Geschöpfen um sie herum war es für Reißzahn und seine Meute leicht, unerkannt ihres Wegs zu ziehen. Selbst nachdem sie beim Töten beobachtet worden waren, mussten sie nur einen halben Tag weitermarschieren, um wieder unbekannt zu sein.
    Mit jedem Tag kümmerte sich Reißzahn weniger darum, ihre Gelüste zu verbergen. Sollte doch jeder wissen, wer und was sie waren. Jetzt würde niemand mehr wagen, sie aufzuhalten, besonders nicht, nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte, wie kläglich Patriofelis damit gescheitert war, ihn zu verbannen. Sie waren gefürchtet.
    »Was glaubst du, was mit der alten Meute passieren wird?«, fragte er Panthera.
    »Da Patriofelis tot ist, wird sie sich wohl auflösen. Gerik ist kein Anführer.«
    Reißzahn schnaubte zustimmend. »Sie werden sich zerstreuen. Vielleicht laufen uns ja einige über den Weg und fragen, ob sie sich uns anschließen können.« Er schaute sie besorgt an. »Bereust du es, dass du sie verlassen hast?«
    »Nein«, sagte sie.
    Er hatte sie inzwischen jagen sehen, und wie er vermutet hatte, beherrschte sie das ausgezeichnet, obwohl er ihr auch noch einiges beibringen konnte. Ihr beim Fressen zuzusehen war ihm eine Wonne – und auch eine Erleichterung. Sie war eine von ihnen.
    »Diese Vögel damals auf der Insel?«, fragte sie. »Was war das?«
    Reißzahns Fell prickelte. »Ich hab solche vorher noch nie gesehen. Sie waren neu.«
    Seit damals hatte er immer wieder nach ihnen Ausschau gehalten, vor allem in der Dämmerung. Er erinnerte sich an ihre riesigen Augen und fragte sich, ob sie damit die Nacht durchdringen konnten. Doch er hatte keinen ihrer Art mehr gesehen, obwohl er einmal meinte, weit entfernt ihren schauerlichen, klagenden Ruf vernommen zu haben.
    »Sie haben uns mühelos getötet«, sagte Panthera.
    »Sie haben uns überrumpelt«, antwortete Reißzahn überheblich. »Das passiert nicht noch einmal. Wir sind wachsam. Mit Leichtigkeit könnte ich einen töten.«
    Fragend hob sie die Ohren, doch er nahm seine kühne Behauptung nicht zurück. Allein schon die reine Existenz dieser Vögel hing wie eine beständige dunkle Wolke über seinen Gedanken. Wo waren sie hergekommen? Manchmal vor dem Einschlafen dachte er an ihre Schnäbel,

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