Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
glitt von seinem Sitz, schob sich um den Tisch, um neben ihr niederzuknien und sie an sich zu ziehen und ihre Stirn an seine Halsbeuge zu betten. Sie schauderte und kämpfte gegen einen hysterischen Anfall. Balthasar aber mühte sich, dem Impuls, seiner Frau Trost zu bieten, nicht nachzugeben, der Dame, die er für ein ganzes Leben zu lieben und zu beschützen geschworen hatte. Sie war nicht länger nur seine Frau. Leise fragte er: »Spürst du noch irgendjemanden sonst oder irgendetwas sonst?«
Sie keuchte auf, schluckte und sagte: »Nein. Nur einen.«
»War es ein Schattengeborener?«
»Lichtgeboren, er fühlte sich wie ein Lichtgeborener an.«
Balthasar schluckte und zwang sich, mit ruhigem Tonfall zu sprechen. »Und was hatte er bei sich?«
»Es könnte … Sprengstoff gewesen sein. Es hätte den Waggon aufgerissen. Oh Bal.«
»Schscht«, sagte er. »Du hast getan, was du tun musstest.« Da ihre Stirn an seinem Hals ruhte, versuchte er seine Neugier in Bezug auf das Wie zu bezähmen. Sie antwortete mit gedämpfter Stimme auf seine unausgesprochene Frage: »Ich habe Eis unter seinen Füßen gemacht, genau so, wie ich in dem Lagerhaus den Türgriff abgekühlt habe.«
Er konnte ihr seine närrische, aber tief empfundene Erleichterung darüber nicht ersparen, dass sie ihre heilenden Talente nicht missbraucht hatte, und erinnerte sich an seine verworrenen Gedanken, als er neben den schlafenden Babys gehockt, den Brieföffner in der Hand gehalten und dessen tödliche Platzierung in einem menschlichen Körper geübt hatte.
Sie zitterte. »Was wird dies mit uns machen?«, flüsterte sie. »Wird es enden, wenn wir Fürst Vladimer retten?«
»Ich glaube nicht«, flüsterte er zurück, weil er nicht lügen konnte, während er sie berührte.
Er hielt sie in den Armen, bis der Zug langsamer wurde. Inzwischen hatte sie sich ein wenig entspannt. »Wir müssen uns fassen«, sagte er leise. »Ich möchte noch immer keine Aufmerksamkeit erregen, aber wir sollten darauf vorbereitet sein zu rennen. Versprich mir, dass du mich, wenn es sein muss, zurücklassen wirst.«
»Nein«, sagte sie, hob den Kopf und zeigte ein Gesicht, das gleichzeitig erschüttert und grimmig war. »Ich habe dir die Chance geboten zurückzubleiben, und du hast sie nicht ergriffen. Jetzt gehen wir zusammen oder gar nicht.«
Telmaine
Der dumpfe Aufprall der Postsäcke, die hinter ihr auf den Bahnsteig schlugen, ließ Telmaine zusammenfahren, und sie warf einen unkontrollierten Peilruf in diese Richtung. Da die Gleistore des Bahnhofs wieder geschlossen waren, konnten der Rauch und Dampf der Maschine nicht entweichen. Der dichte Qualm war geradezu schwindelerregend. Ohne nachzudenken, ging sie auf den Ausgang zu, der für die Gäste direkt zum Gästeeingang des erzherzoglichen Sommersitzes führte. Balthasar hielt sie fest und schob sie auf den Durchgang zur Bahnhofshalle zu. »Falls uns jemand erwartet, dann hinter diesem Ausgang.«
Als Passagiere der Oberklasse durften sie zuerst aussteigen, sodass sie die ersten waren, die durch den Hauptausgang in die Bahnhofshalle gelangten. Die Halle, ein riesiges, überwölbtes Gebäude neben den Gleisanlagen, wartete mit Erfrischungen und Sitzplätzen auf. Von dort gelangte man direkt in ein Hotel, das von früh eintreffenden oder spät abreisenden Passagieren gern genutzt wurde und darüber hinaus zu alltäglicheren Stunden Gelegenheit für Vergnügungen besonderer Art bot.
Hinter ihnen erklang ein scharfes Husten. Telmaine fuhr herum und konnte nur mit knapper Not ihr Sonar dämpfen. Dank Balthasars beiläufiger Sondierung fing sie einen Eindruck von zwei Gestalten auf, eine davon schwer vermummt und auf die andere gestützt. Balthasar murmelte: »Die beiden anderen Passagiere aus der ersten Klasse. Es ist grässlich, welche Wirkung der Rauch auf eine kranke Brust hat. Sehr vorsichtig jetzt, spürst du irgendetwas aus dem Rest des Zuges?«
Sie sandte ihr Bewusstsein in das Gedränge von Menschen, die jetzt aus den Abteilen der Holzklasse stiegen. Für einen Moment glaubte sie, etwas wahrzunehmen, das an verhaltene Aschenglut erinnerte, aber als sie danach tastete, war es verschwunden. Sie zog sich zurück, voller Angst, Aufmerksamkeit zu erregen, und rief sich ins Gedächtnis, dass sie ihren Vater in den Monaten nach dessen Tod zu den seltsamsten Zeiten und in den seltsamsten Gesichtern gepeilt hatte. »Nein«, wisperte sie. »Nicht unter ihnen.«
Balthasar nahm sie am Arm und beugte sich zu ihr vor wie
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