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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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hatte, sah im Allgemeinen prosaischer aus. Die Lichtgeborenen sorgten dafür, dass die Tageszüge der Nachtgeborenen sicher über frei geräumte Gleise fuhren, weil sie zwangsläufig versiegelt unterwegs sein mussten. In den zwanzig Jahren seit dem ersten Tageszug hatte es nur eine Katastrophe gegeben, das Ergebnis eines unerwarteten mechanischen Versagens.
    In der ersten Klasse der Küstenroute, im sichereren hinteren Ende des Zuges, reisten herzogliche Kuriere, Beamte und Edelleute in dringenden Geschäften. In der Holzklasse an der Spitze des Zuges fand man Studenten, Dienstboten und andere Urlauber, die die billigen Fahrpreise nutzten. Dort gab es manchmal Lärm, Betrunkene und gelegentlich sogar eine Rauferei, aber in jedem Waggon saßen ein oder mehrere öffentliche Agenten, um für Ordnung zu sorgen, und die Strafen für grob fahrlässiges Verhalten während der Tageslichtstunden waren hoch.
    Baltahsar war noch nie zuvor im hinteren Ende des Tageszugs gereist, und sobald man ihnen ihr luxuriöses Privatabteil zeigte, wurde ihm klar, dass es eine ganz andere Erfahrung werden würde, als er sie aus Studentenzeiten kannte. Dankbar ließ er sich in das weiche Polster sinken.
    Telmaine fragte: »Geht es dir gut?«
    »Zu viel Aufregung«, sagte er unbeschwerter, als er sich fühlte. Er wollte nicht, dass sie sich noch weiter seinetwegen verausgabte. Sie machte es sich bequem, verteilte Röcke, Hut und Ridikül mit ihrer gewohnten Anmut, lehnte den Kopf an die dick gepolsterte Kopfstütze und seufzte.
    »Wir sollten etwas essen«, bemerkte er.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas essen könnte«, sagte sie.
    »Dann solltest du es unbedingt tun, denn ich empfinde genauso, was mir sagt, dass ich Nahrung brauche.«
    Er klingelte nach dem Steward, der prompt erschien und erklärte, im Waggon herrsche kein allzu großer Betrieb. Sie erörterten die Speisekarte, und er drängte Telmaine, mehr zu wählen als die wenig nahrhafte Suppe, um die sie zuerst gebeten hatte. Der Steward pflichtete ihm bei; Telmaine gab nach. Als der Steward gegangen war, runzelte sie die Stirn. »Wirst du mir helfen, all das aufzuessen?«
    »Ja. Allein das Gespräch darüber macht mich noch hungriger. Du tust gute Arbeit, meine Liebste.«
    Unglücklich bewegte sie sich ein wenig auf ihrem Platz. Er holte Luft, aber es schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, sie zu bedrängen, so sehr es ihn auch danach verlangte, ihr Unbehagen zu zerstreuen.
    »Wir fahren«, bemerkte sie. »Ich bin noch nie mit einem dieser Züge gereist. Und ich weiß nicht, ob irgendjemand aus meinem Bekanntenkreis es getan hat.«
    »Ich bin als Student mindestens ein halbes Dutzend Mal diese Route gefahren, wenn auch nie mit solchem Komfort.«
    Während des Essens erzählte er ihr von einer bestimmten Bahnfahrt, die er in Gesellschaft einer reisenden Theatergruppe verbracht hatte: Der Impresario, der die Truppe auch mit selbst geschriebenen Stücken versorgte, litt offensichtlich unter der Art von Wahn, die sich kaum von Genie unterscheiden ließ – oder umgekehrt. Der Zug hatte den Bahnhof kaum verlassen, als er auch schon die gesamte Truppe und die meisten der anderen Fahrgäste dazu brachte, unter seiner Regie ein Melodram in großem Stil zu improvisieren. Am Ende der Fahrt schworen eine respektable Matrone und ihre unverheiratete, bereits ältere Tochter, sich der Truppe anzuschließen, zwei Studenten vereinbarten ein Duell wegen der Naiven, die aber offensichtlich Absichten auf einen Dritten gehabt hatte, und der öffentliche Agent der Eisenbahn – kein flexibler Mensch – drohte, der ganzen Horde künftige Reisen bei Tageslicht zu verbieten. Als Telmaine sich an ihrer Suppe verschluckte und gleichzeitig hustete und lachte, war er zufrieden. Er brauchte sie nicht einmal dazu zu überreden, ein Éclair zu essen, während sie mit einem energischen Klaps behandschuhter Finger auf sein Handgelenk verhinderte, dass er nach seinem vierten griff. »Ein schöner Beschützer wirst du sein, wenn dir zu übel ist, um dich zu bewegen.«
    Als der Steward zurückkehrte, um das Geschirr abzuräumen, bemerkte Balthasar, dass nicht allzu viele Menschen im Zug zu sein schienen. Diese Annahme stellte sich als richtig heraus: In der ersten Klasse säßen nur zwei Herren – einer, der aus gesundheitlichen Gründen an die Küste reiste, und sein persönlicher Arzt. Der Steward hatte sie an das gegenüberliegende Ende gesetzt, sodass das Hustern des Kranken die anderen Fahrgäste

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