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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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darauf verstand, mit ihm umzugehen, sondern auch, weil er Balthasar, diesem Abkömmling einer alten, unbedeutenden Blutlinie, ohne Neid gegenübertreten konnte. Telmaine gegenüber fühlte er sich weniger wohl, nicht nur, weil sie reicher und höher geboren war als er, sondern – und das betrachtete sie als weit weniger entschuldbar – weil sie unter ihrem Stand geheiratet hatte. Sie erinnerte ihn an eine unwillkommene Möglichkeit, nämlich die des sozialen Abstiegs. Warum Sylvide beschlossen hatte, ihre flauschige Gutherzigkeit an die stachelige Kletterpflanze, die ihr Mann war, zu verschwenden, wusste Telmaine nicht. Außer, dass Dani sie brauchte, wie Sylvide mehr als einmal betont hatte.
    »Du kennst doch Ferdenzils Verlobte, oder?«, fragte Sylvide. »Tercelle Amberley, von den Waffenschmieden und Schiffsbauern Amberley. Sie war früher mit dem Bruder von deinem Balthasar zusammen, so sagen die Leute jedenfalls.«
    »Ich habe sie kennengelernt, im Gegensatz zu Lysander Hearne«, sagte Telmaine, um jedem weiteren Gespräch über ihn aus dem Weg zu gehen. Wenn sie die Figuren einer Oper wären und sie selbst eine jener stürmischen Heldinnen, würde sie Lysander Hearne nach all dem Unrecht, das er ihrem freundlichen Ehemann zugefügt hatte, nur mit geladener Pistole gegenübertreten. Aber sie war keine solche Heldin und hoffte einfach, dass Balthasars Bruder nie mehr aus seinem Exil zurückkehren würde.
    Sylvide kräuselte ihre niedliche Nase. »Eine lästige kleine Neureiche. Sie und Ferdenzil verdienen einander. Aber es ist geradezu tragisch , wenn man bedenkt, was ihm das Geld und die Fabriken ihrer Familie auf den Inseln alles ermöglichen dürften. Sie werden Schiffe bauen und sie für ihn bewaffnen.«
    »Aber es ist doch bestimmt eine gute Sache,« wandte Telmaine ein, »der Seeräuberei ein Ende zu bereiten.«
    Sylvide beugte sich dicht zu ihr hinüber. »Tellie, der Kampf gegen die Seeräuberei ist nur ein Vorwand . Ich will nicht behaupten, es gäbe keine Piraten, aber die Herzöge der Inseln sind sich der Wirkung, die die Seeräuberei auf Handel und Schifffahrt hat, durchaus bewusst, und es liegt in ihrem eigenen Interesse, das Piratenunwesen nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Ferdenzil und sein Vater wollen die Inseln – nicht nur die Scallon-Inseln, sondern all die kleinen Inselherzogtümer. Sie werden eins nach dem anderen schlucken und zum Schluss das Erzherzogtum.«
    Politik war die letzte Infektion, von der Telmaine geglaubt hätte, dass Sylvide sie sich zuziehen würde. Sie zuckte die Achseln. »Was können wir Frauen schon dagegen ausrichten?«, sagte sie leichthin. »Damaris zum Trotz haben wir nichts zu melden.« Prinzessin Damaris, die einzige Tochter eines geringeren Herzogs, führte eine Kampagne, um Frauen die gleichen Erb- und politischen Rechte zu verschaffen wie ihren Brüdern. Telmaine hätte sich nichts Lästigeres vorstellen können; sie wusste, wie die Arbeit im Interkalaren Konzil Balthasar zusetzte und ihm die Zeit und Energie stahl, die er für seine geliebte Medizin und Gelehrsamkeit brauchte. Sie war froh, daran keinen Anteil zu haben.
    »Komm mit in den Ballsaal«, sagte sie und zog ihre Freundin mit sich. »Du hast bestimmt noch keinen von den neuen Walzern getanzt. Allerdings sind es nicht die allerneuesten; die gelten als zu schockierend, um am Hof des Erzherzogs gespielt zu werden. Ich habe gehört, dass die Anstandsdamen dabei lange Stöcke mit Linealen am Ende zwischen die Tänzer schieben, sobald diese den angemessenen Abstand zueinander unterschreiten …«
    Ishmael
    Ishmael di Studier, Baron Strumheller, lehnte sich mit dem Rücken gegen eine der geschnitzten Säulen, die den Ballsaal säumten, verharrte reglos und beobachtete seine Umgebung, ohne aktiv Ultraschall zu benutzen. Es gehörte zum elementaren Rüstzeug eines Jägers, wahrzunehmen, ohne andere auf sich aufmerksam zu machen. Auch wenn er dies gut beherrschte, bediente er sich dieser Fähigkeit am liebsten im Freien und machte sich die subtilen Hinweise der Natur zunutze: das Flüstern und Rauschen von Blättern und Gräsern, das Rascheln, das kleine Tiere verursachten, und auffällige Gerüche, die der Wind ihm zutrug.
    Hier dagegen gab es keine Feinheiten. Die Musik des kleinen Orchesters auf der Halbempore hallte unter der Kuppeldecke wider. Kleider raschelten, Röcke wirbelten im Tanz sausend umher; Schuhe klackerten und quietschten auf dem teils hölzernen, teils gekachelten Boden; Gläser

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