Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
übrigen toleriert. Immerhin war sie so diskret gewesen, ihren unehelichen Sohn erst zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes zur Welt zu bringen. Gerüchten zufolge handelte es sich bei dessen Vater um den jungen, noch unverheirateten Herzog von Mycene, den späteren Vater Ferdenzils; allerdings hatte dies keine der beiden Familien anerkannt. Ihr Sohn Vladimer besaß ihr Geschick im Spiel und ihre Freude an Intrigen, aber soweit das überhaupt jemand sagen konnte, teilte er sein Bett weder mit Frauen noch mit Männern.
Vladimer ließ sich in einen Sessel fallen und bedeutete Ishmael, sich ebenfalls zu setzen. Sie warteten, bis Pasquale den Wein serviert hatte. »Nun«, sagte Vladimer freundlich, »wie es scheint, sagt Ihnen ein geordnetes Leben allmählich zu. Sie sind nicht mehr so hager und gespenstisch, wie Sie es waren, als wir uns kennenlernten. Auch wenn Sie immer noch die Gestalt eines Affen haben, ist es jetzt wenigstens die eines gut gekleideten Affen.«
Da diese Veränderungen wie viele andere Dinge, die zu Ishmaels Akzeptanz in der feinen Gesellschaft von Minhorne geführt hatten, nicht ohne Vladimers Zutun zustande gekommen waren, sagte Ishmael nur: »Ich freue mich, dass es Ihnen gefällt, Mylord.«
Vladimer lehnte sich zurück. »Es gefällt mir; ich weiß, wie fest die Schattenländer einen Mann im Griff behalten.« Es folgte ein kurzes Schweigen, und Ishmael wartete ab, was wohl als Nächstes kommen würde. Vladimer war durchaus ein Mann, der andere bis in die Tiefen ihrer Seele bloßlegte, aber das Unpersönliche ein Mann statt des persönlichen Sie deutete darauf hin, dass er jetzt nichts dergleichen vorhatte.
Vladimer legte die Hände zusammen, die Finger nach oben gerichtet. Er war erkennbar in spitzbübischer Stimmung. »Und, wie geht die Suche nach einer Braut und der Mutter Ihrer Erben voran? Sie müssen wissen, dass meine liebreizende Cousine Telmaine bekanntermaßen eine treue Ehefrau ist. Obwohl ich einräumen muss, dass Sie eine Frau mit Charakter brauchen werden.«
Also hatte seine kurze Begegnung mit Prinzessin Telmaine bereits die Aufmerksamkeit Vladimers erregt. Der Mann war unheimlich. Wenn Vladimer nicht zu den Männern gezählt hätte, die Frauen grundsätzlich gering schätzten, hätte ihn das jetzt eher Prinzessin Telmaines wegen besorgt gemacht – falls denn sein Verdacht, dass die Dame eine Magierin war, zutraf und nicht nur das Wunschdenken eines einsamen Mannes war –, denn Vladimer wusste genau, warum Ishmael sogar in Gesellschaft Handschuhe trug. So sehr er den Meisterspion des Erzherzogs auch schätzte, wünschte sich Ishmael doch, einmal miterleben zu dürfen, wie eine Dame von Intelligenz und Charakter Vladimer von diesem Irrtum befreite.
»Sie sollten mit ihr tanzen«, schlug Vladimer vor. »Da ihr Ehemann nicht zugegen ist, gebe ich als ihr Cousin Ihnen die Erlaubnis. Das mag einige der Matronen mit geeigneten Töchtern dazu ermuntern, genauere Nachforschungen über Sie anzustellen. Vorausgesetzt natürlich, Sie haben nicht selbst schon irgendeine bestimmte Blüte als Zierde Ihrer Baronie im Sinn.«
Ishmael wusste nicht, ob er entnervt oder erfreut sein sollte. Vladimer – selbst kinderlos – hatte sich angewöhnt, explizit auf die Notwendigkeit hinzuweisen, dass Ishmael heirate und den Fortbestand seiner Linie sichere, statt seine Herrschaft seinem jüngeren Bruder zu überlassen. Aber Prinzessin Telmaine war bereits verheiratet, und Ishmael kannte keinen Grund, warum Vladimer ihr, ihrem Mann oder ihm selbst einen Streich spielen sollte. Vielleicht bereitete ihm nicht nur das würzige Duftwasser Kopfschmerzen.
»Ich gehe davon aus«, sagte er unverblümt, »dass Sie mich nicht nach Minhorne bestellt haben, um zu sehen, wie gut ich auf meinen Hinterbeinen gehe?«
Ein flüchtiger Ausdruck der Erheiterung zeigte sich auf Vladimers Zügen. »Nein, Schattenjäger«, sagte er gleichmütig. »Sondern um zu hören, was Sie von diesem letzten Sommer im Grenzland halten.«
Wieder dieser Titel. Er beunruhigte Ishmael, denn nach seinen Maßstäben war es bereits einige Jahre her, seit er aufgehört hatte, ein Schattenjäger zu sein. Die Schattenjagd war eine Arbeit mit natürlicher Altersgrenze, und er konnte sich glücklich schätzen, diese Grenze überlebt zu haben. »Ruhig«, antwortete er auf die implizite Frage. »Einige Verluste bei den Herden, aber keine Toten bei den Menschen. Allerdings sind sieben unserer Leute verschwunden. Bei allen heißt es, dass sie sich
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