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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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lief.
    »Prinzessin, setzen Sie sich bitte auf den Boden«, sagte Ishmael brüsk, »bevor Sie ohnmächtig werden. Ich werde tun, was ich kann.«
    Sie kauerte sich neben ihren Mann und weinte um ihre Verluste und ihre eigene Nutzlosigkeit. Amerdale kroch zu ihr, klammerte sich an sie und flüsterte: »Wein nicht, Mama.«
    Floria kehrte zurück und knallte etwas in die Durchreiche . »Di Studier! Hier ist Ihr Spiculum. Kommen Sie damit zurecht?«
    Amerdale löste sich aus Telmaines Umarmung, krabbelte zu dem Wandschrank, zog die Tür auf und kam mit einem kleinen Samtbeutel zurück. Telmaine richtete sich auf und griff nach dem Beutel, doch im gleichen Augenblick rief der Baron: »Nicht Sie!« Sie spürte einen merkwürdigen Stoß, als seien ihre Knochen leichter geworden, als ziehe die Erde sie nicht mehr so stark an. Die Sondierung des Barons erschütterte sie, sein Ausdruck zeigte bodenloses Entsetzen. »Das war’s dann wohl«, sagte er mit undeutbarer Stimme.
    »Di Studier, was ist passiert?«
    Er antwortete Floria nicht, sondern nahm Telmaine den Beutel aus der Hand, drehte ihn mit seinen Zähnen um, und ließ sich einen kleinen Steinsplitter, nicht länger als Amerdales Finger, in die Hand gleiten, die sich für einen Augenblick darum schloss. Dann schüttelte er den Kopf. »Verdammt«, sagte er, ohne sich weiter zu entschuldigen.
    »Di Studier, was ist los!?«
    Seine Sondierung überstrich Telmaine abermals. »Wie fühlen Sie sich, gnädige Frau?«
    »Das spielt keine Rolle«, sagte sie und dachte Ich werde jetzt nicht ohnmächtig. »Mein Mann braucht Hilfe.«
    »Das tut er.« Er holte tief Luft, dann sagte er: »Ich glaube, wir haben die Tür nicht geschlossen.«
    »Die Tür? Was hat die Tür damit zu tun?«
    Er antwortete nicht. Sie hörte, wie er aus dem Arbeitsraum und unsicher die Treppe hinunterging, worauf sie sich keinen Reim machen konnte. Mit zitternden Fingern strich sie Balthasar über die Stirn, spürte seine in Wellen stärkere und schwächere Gegenwart, Schmerz, der kam und ging, kam und ging mit jedem flachen Atemzug. Draußen begann die Glocke zum Sonnenaufgang zu läuten. Alle Hoffnung auf Hilfe von außerhalb war dahin, wenn die Glocke erst schwieg. Aber während sie ihn berührte, spürte sie, wie sie selbst ruhiger wurde und die Erde wieder spürte, auch schien es, als schwanke das Gefühl seiner Anwesenheit weniger stark und als lasse sein Schmerz etwas nach.
    Als die Glocke verstummte, hörte sie die Schritte des Barons. Er kehrte zurück, stellte einen Kasten voller Pistolen, wie sie begriff, auf den Boden und ließ den Strahl seines Sonars über Telmaine gleiten. Dann seufzte er und kniete sich neben sie, nahm ihre Hand, mit der sie Balthasar die Stirn gestreichelt hatte, und legte sie an eine Stelle auf dessen Bauch, die vor Schmerzen brodelte. Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen, aber er hielt sie dort fest, seine Berührung vermittelte Kraft, Entschlossenheit, Ironie … und starke Furcht. Sein Flüstern klang rau: »Es funktioniert folgendermaßen: Sie spüren seinen Schmerz und schicken ihm Ihre heilende Kraft. Sie spüren, was in ihm zerstört ist, Sie spüren in sich selbst, wie es eigentlich sein muss, und benutzen dieses Wissen, um es in ihm zu richten. Ich kann es nicht besser erklären. Aber ich kann es Ihnen zeigen.«
    »Di Studier«, sagte Floria, »was geht da vor? Ist das Spiculum nicht ausreichend?«
    »Still, mein Fräulein. Also, Telmaine«, murmelte der Baron. Seine Stimme hatte nichts Verführerisches, ebenso wenig der Druck seiner großen warmen Hand, die über ihrer lag. Sie spürte, wie sich Energie bündelte, Entschlossenheit konzentrierte und dann eine plötzliche Hitze in ihren Fingern und eine Leichtigkeit in den Knochen. Als sie plötzlich begriff, was er vorhatte, keuchte sie auf. »Ja«, flüsterte er, sein Atem warm an ihrem Ohr. »Ich weiß, was Sie sind. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir jetzt noch haben. Hören Sie zu.« Mit seinem tiefen, fast atemlosen Flüstern und der Kraft seiner Gedanken zwang er Bilder in ihren Geist, die den Abbildungen in den Büchern, die Balthasar studierte, ähnelten und doch wieder nicht, denn diese Abbildungen, ganz gleich, wie schön sie auch sein mochten, waren unbelebt, Ishmaels Stimme aber lebendig. Und während die Worte und Bilder und Gefühle wie eine Melodie mit Kontrapunkt und Unterströmung an sie weitergegeben wurden, begann sie zu fühlen und konnte spüren, wie Balthasars zerrissene Blutgefäße und

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