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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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ihn belehrt, ihm Straferlass gewährt und ihm geraten, nach Hause zu seiner Familie zu gehen. Ishmael hatte dem Richter natürlich nicht erzählt, dass er ein Magier war.
    Das Läuten verstummte, und es folgten keine Schreie und Gebete der Verdammten. Ishmaels Erleichterung beeinflusste weder seine Atmung noch seine Haltung. Da er praktisch bewusstlos gewesen war, als sie ihn durch die Türen getragen hatten, konnte er nicht wissen, ob es eine Hinrichtung gab oder nicht, und hatte voller Grauen dieses Momentes geharrt. Auf der anderen Seite verdankte er es seinem ohnmachtsartigen Zustand, dass ihm Prügel erspart geblieben waren. In Gefängnissen wimmelte es von Männern, für die sein vernarbtes Gesicht, sein Titel oder sein Ruf eine willkommene Provokation darstellten. Die Zellengenossen dagegen fürchtete er nicht, denn derer konnte er sich zumindest mit ein oder zwei Schlägen erwehren, bis die Wachen befanden, ob ihnen der Ausgang der Prügelei gefiel oder nicht. Aber auch so weit war es nicht gekommen: Er befand sich allein in seiner Zelle.
    Aus dem Flur jenseits der Gitterstäbe hörte er Stiefel durch den Gang schlurfen, und ein harter Peilruf traf ihn, während er über Telmaines Reaktion nachdachte.
    »Hässlicher Rohling«, hörte er eine Stimme von den Gitterstäben jenseits seiner Füße. »Man sollte meinen, wenn er ein so großartiger Magier wäre, hätte er etwas gegen diese Narben unternommen.«
    Er hörte ein Geräusch, das er als grobe Finger identifizierte, die über ein stoppelbärtiges Kinn kratzten, dann eine träge Stimme mit dem Akzent der östlichen Grenzlande. »Ja, nun, ich schätze, er hat aus demselben Grund nichts gegen diese Narben unternommen, aus dem er keinen Finger gerührt hat, seit sie ihn hier hineingeworfen haben.« Eine bedeutungsvolle Pause. »Damit du denkst, er sei nicht das, was er ist.«
    Ein kluger Gedankengang, ging es Ishmael beifällig durch den Kopf. Vielleicht unzutreffend in diesem speziellen Fall, aber im Prinzip war es eine vernünftige Philosophie. Er trug diese Narben, weil er sie verdiente; sie waren ein Brandmal der Erinnerung an eine Zeit, in der er sich töricht verhalten und andere dafür gezahlt hatten. Und er hatte keinen Finger gerührt, weil er vermutlich nicht viel Gefallen an den Konsequenzen finden würde. Wenn er sich aufrichtete, musste er sich stundenlang übergeben, da dies seine übliche Reaktion darstellte, wenn er sich übernommen hatte. Was unangenehm genug war, wenn es in dem einem Baron geziemenden Luxus geschah, und erst recht, wenn er sich über die offene Toilette einer Gefängniszelle beugte, verspottet von Wachen und Gefangenen gleichermaßen. Also würde er einfach nur hier liegen, schlaff wie gekochtes Leder, und wieder einschlafen. Wenn im Gefängnis Ruhe einkehrte, bliebe ihm Zeit genug, zu dem Wasserkrug auf dem Boden neben den Gitterstäben zu kriechen.
    »Wir könnten ihn aufwecken«, sagte die erste Stimme.
    »Andererseits«, bemerkte die zweite Stimme, »könnten wir einfach tun, wofür wir bezahlt worden sind: Ihn in Ruhe lassen und dafür sorgen, dass er ohne Verletzungen zu seiner Verhandlung kommt.«
    Interessant, dachte Ishmael, als die Wachen weitergingen. Und ermutigend, falls das bedeutet, dass bereits Bestechungsgelder in die richtige Richtung fließen. Er lauschte dem Schlurfen der Stiefel und dem gelegentlichen Klirren eines Schlüssels weiter unten im Flur zwischen den Zellen. Er hatte bereits begonnen, den Standort und das Temperament seiner Mitgefangenen aufgrund ihrer Stimmen einzuordnen. Jetzt fügte er einige weitere Eindrücke hinzu, die er der Stille nach der Sonnenaufgangsglocke verdankte. Er würde nicht der einzige Gefangene sein, der sich an die Schreie der Verdammten erinnerte und Gelegenheit bekam, seine Situation zu überdenken.
    Mord war eine ausreichend grimmige Anklage, aber eine, die er nach der ihm gestellten Falle in Tercelle Amberleys Haus halb erwartet hatte. Auf die Anklage wegen Hexerei war er in keiner Weise vorbereitet gewesen. Die Ächtung bedeutete die schlimmste Strafe, die er von den Nachtgeborenen erwarten musste, da deren vornehme Gesellschaft es vorzog, die Existenz von Magie zu ignorieren. Die Tempelwache der Lichtgeborenen, vor der er Telmaine gewarnt hatte, würde von einem schwachen Magier wie ihm kaum Notiz nehmen. Und ihre Urteile würden in jedem Fall gerecht sein. Von seinen eigenen Leuten dagegen konnte er angeklagt, vor Gericht gestellt und dann verurteilt werden, ohne

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