Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
magischer Heilung nicht an, wenn Sie verstehen.«
»Und warum sollte ein Mann sich dafür entscheiden, sich selbst für einen Magier zu halten?«, hakte der Anwalt nach.
»Was Wahnvorstellungen betrifft, hat man keine große Wahl, sie stellen sich ein, ohne dass man sich dafür oder dagegen entscheiden könnte. Noch einmal, ich habe nicht mit Baron Strumheller gesprochen, aber in solchen Fällen kann das Übel aus einem großen Verlust in seinem frühen Leben entspringen, einem Gefühl von Machtlosigkeit oder Bedeutungslosigkeit. Oder vielleicht Vernachlässigung und einem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, und sei es negativer Aufmerksamkeit.«
»Seine Mutter, an der die Familie sehr hing, starb bei einer Frühgeburt, als er sechzehn war. Er behauptete, das Kind, seine Schwester, geheilt zu haben.«
Balthasar nickte. »Das könnte in der Tat der Auslöser gewesen sein. Ich nehme an, die Familie hat die Behauptung nicht besonders gut aufgenommen.«
»Sein Vater warf ihn aus dem Haus, enterbte ihn. Baron Strumheller verbrachte die nächsten neun Jahre als Vagabund und ging dem Gewerbe eines Schattenjägers nach.«
»Aber nicht Magie?«, fragte Balthasar.
»Nicht Magie, nicht damals. Er kehrte zur Familie zurück, als er der Baronie den Dienst erwies, sie von einem Glasen zu befreien. Die Freunde des alten Barons haben seinen Vater überredet, ihn wieder als Erben einzusetzen. Die Narben auf seinem Gesicht – er hat sie sich in jener Zeit zugezogen.«
»Dass er sie noch immer trägt, widerspricht seiner Behauptung, große Macht zu besitzen«, bemerkte Balthasar.
»Er ist nicht in den Grenzlanden geblieben. Der Glasen tötete eine Frau, die er als Mädchen geliebt hatte. Er kam in die Stadt und nahm Kontakt zu den Magiern auf.«
»Ein ähnlicher Impuls wie zuvor, der Tod eines Menschen, der ihm teuer war«, murmelte Balthasar und nickte leicht.
»Angeblich bildete er seine Magie zu jener Zeit aus. Fürst Vladimer hat ihn ein wenig später in Dienst genommen, und während der folgenden Jahre reiste er in Fürst Vladimers Auftrag an der Küste auf und, wenn es notwendig war, ab und in die Schattenländer auf Schattenjagd. Als sein Vater starb, kehrte er in die Baronie zurück. Er hat seine Sache dort sehr gut gemacht. Daher genießt er großes Ansehen bei seinen Pächtern und den anderen Edelleuten. Zudem hat er die Verteidigung der Grenzlande gegen die Schattengeborenen so gut organisiert und aufgebaut, dass die Anzahl der Todesfälle durch feindliche Angriffe stetig abgenommen hat. In diesem Jahr gab es nicht einen einzigen.«
»Und noch einmal, die Behauptung, Magie zu besitzen, ist durch nichts bewiesen«, bemerkte Balthasar.
»Er trägt ständig Handschuhe«, sagte der Anwalt forschend.
Balthasar erwiderte: »Auch meine Gattin trägt in der Öffentlichkeit Handschuhe. In ihrem Fall ist es eine harmlose Phobie in Bezug auf mögliche Infektionen.«
»Er behauptet, seine Zusammenbrüche seien auf eine Erschöpfung seiner Magie zurückzuführen.«
»Neurastenische Zusammenbrüche«, erklärte Balthasar. »Auch nicht allzu ungewöhnlich, obwohl ein Arzt ihn untersuchen sollte, um eine körperliche Ursache auszuschließen.«
»Und Sie glauben, Fürst Vladimer habe ihn möglicherweise zu Ihnen geschickt, damit Sie diese Wahnvorstellung behandeln.«
»Ich bin mir bewusst, dass ich wegen der mir beruflich auferlegten Schweigepflicht nichts von alledem hätte erzählen dürfen. Allerdings könnte Baron Strumhellers Leben durch diese Anklage in weitaus größerer Gefahr sein als durch das Bekanntwerden einer relativ milden Wahnvorstellung.«
Stille folgte. Balthasar wagte nicht, den Anwalt zu peilen.
»Sie sind ein kluger junger Mann«, bemerkte di Brennan in Anerkennung der Art und Weise, wie er der Frage des Anwalts ausgewichen war. »Falls Sie in den Zeugenstand gerufen würden, könnten Sie all dies aussagen?«
»Ich könnte all dies aussagen.«
»Obwohl Sie angeblich ein Nutznießer von Baron Strumhellers heilenden Fähigkeiten waren.«
»Herr, ich war verletzt und litt großen Schmerz. Ich glaubte, im Sterben zu liegen, und daher muss ich meine eigene Verlässlichkeit hinterfragen.«
»Ja, das ist mir aufgefallen. Und was ist mit seinen Kammerdienern?«, fragte er und peilte dabei Lorcas von der Seite, der während des ganzen Gesprächs still und angespannt dagestanden hatte.
»Sie müssen natürlich in Bezug auf das, was Sie mitangesehen haben, die Wahrheit sagen«, erwiderte Balthasar. »Es liegt
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