Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Rechnung nicht innerhalb einer Woche begleichen, müssen wir uns leider an Ihren Mann wenden. Bezüglich der Übergabe werden wir uns in sechs Tagen bei Ihnen melden.
Sie waren also noch da. Donatella steckte den Brief in ihre Handtasche. Es bedeutete … sie musste jetzt ganz klar denken … Dieser Brief bewies, dass Benjamin nicht allein gehandelt hatte. Aber er konnte auch etwas ganz anderes bedeuten: Er konnte bedeuten, dass Benjamin nichts mit dieser Erpressung zu tun hatte.
Dieser Gedanke war ungeheuerlich. Sie drängte ihn weg, doch er kam wieder. Dieser Brief eröffnete die winzige Möglichkeit, dass Benjamin sie doch geliebt haben könnte. Diese winzige Möglichkeit ließ sie taumeln. Plötzlich wurde sie von Trauer überwältigt, einer Trauer, die sie sich bisher verboten hatte.
Alles war jetzt möglich, sogar, dass Ricardo hinter der Erpressung stand. Donatella schreckte heftig zusammen, als Sara plötzlich in der Tür erschien.
«Mi scusi, Signora, ich wollte Sie nicht erschrecken. Das Abendessen ist angerichtet …»
Ich darf mich nicht gehenlassen, dachte Donatella. Sara darf nicht denken, dass etwas nicht stimmt. Ich muss die Struktur behalten, sonst bin ich verloren.
«Ich komme gleich, Sara! Ich muss nur kurz ins Bad.»
«Grazie, Signora.» Sara zögerte kurz, aber dann hörte Donatella ihre Schritte auf der Treppe.
Wofür hatte Sara sich bedankt? Dafür, dass ich zum Essen komme? Lächerlich. Donatella ging in ihr Badezimmer und wusch sich die Hände, wagte aber nicht, in den Spiegel zu sehen. Sie fürchtete sich davor, ihrem eigenen Blick zu begegnen.
Lauras Klingeln rief zwei Ärzte und drei Schwestern an Guerrinis Bett. Alle waren ein bisschen überrascht, dass der Commissario aus dem künstlichen Koma erwacht war, hielten es aber für ein Zeichen wachsender Kräfte.
«Und das Fieber? Er glüht!»
«Das ist eine Folge des Blutverlustes, der Operation und des Stresses, dem sein Körper durch die Schussverletzung ausgesetzt war. Der Commissario ist außer Lebensgefahr, Signora.»
Laura versuchte ihnen zu glauben, ließ aber die ganze Zeit Angelos Hand nicht los, hielt ihn fest, wie sie es dem alten Guerrini und sich selbst versprochen hatte.
«Es wäre gut, wenn Sie ein bisschen hinausgingen, um Luft zu schnappen, Signora.»
«Weshalb?»
«Es gibt einige Dinge für uns zu tun, medizinische … außerdem sehen Sie sehr müde aus.» Der Arzt beugte sich zu Laura herab, und erst jetzt erkannte sie ihn wieder. Es war Dottor Fausto, der vor ein paar Monaten ihren Streifschuss an der Stirn genäht hatte. Jetzt strich er ihr Haar zurück, begutachtete die feine Narbe und nickte zufrieden.
«Nicht schlecht geworden», murmelte er. «Aber habe ich nicht schon damals gesagt, dass wir hier am besten eine spezielle Notaufnahme für die Questura und ihre Opfer einrichten sollten?»
Laura versuchte über diesen Scherz zu lächeln, es gelang ihr nicht richtig.
«Lassen Sie nur, Signora. Gehen Sie lieber schlafen. Wir kümmern uns um den Commissario. Denken Sie an Elsa Michelangeli, sie war in erheblich schlechterer Verfassung und außerdem älter. Ihr waren schwere innere Verletzungen zugefügt worden, während der Commissario nur einen Durchschuss unterhalb des linken Schlüsselbeins erlitten hat, der zwar ein wichtiges Gefäß verletzt hat und zu hohem Blutverlust führte, aber zumindest keine lebensnotwendigen Organe schädigte. Es liegt außerdem eine leichte Quetschung der Lungen im oberen Bereich …»
Laura versuchte genau zuzuhören, doch plötzlich verschwamm das Gesicht des Arztes vor ihren Augen, für ein paar Sekunden hatte sie das Gefühl, im Flugzeug zu sitzen und in ein Luftloch zu stürzen, dann spürte sie nichts mehr.
Sie konnte nicht mehr sehen, dass Dottor Fausto sie auffing, dass beide Ärzte und die Schwestern sie auf eine fahrbare Liege betteten und ihre Beine hochlegten. Schnell wurde sie aus Guerrinis Sichtweite gebracht, denn man wollte ihn nicht beunruhigen. Doch der Commissario war längst wieder weggedämmert und hatte nichts von dem kleinen Zwischenfall mitbekommen.
Laura dagegen wachte erst auf dem Flur wieder auf, und ihr war genauso übel wie beim Flug über die Alpen.
«Benvenuti!», sagte Dottor Fausto. «Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen, Signora?»
«Ich weiß nicht», flüsterte Laura.
«Ich habe Ihren Blutzuckerspiegel gemessen, danach sind Sie kurz vor dem Hungertod. Ich habe Ihnen ein Kreislaufmittel gegeben, und jetzt versuchen
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