Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Fellfutter, ein dickes Männerhemd, Jeans und robuste Stiefel. Nur ihre durchdringend fragenden Augen waren Donatella vertraut. So hatte Ricarda schon als ganz kleines Mädchen geschaut.
«Na, was macht die Lega? Wird Papà der nächste Ministerpräsident?» Das war Ricardas erster Satz nach der eher kühlen Begrüßung gewesen.
«Ich weiß es nicht, mir ist es egal!», hatte Donatella geantwortet.
«Ah, seit wann denn das?»
«Immer schon. Ich habe es nur nie gesagt.»
«Wow.»
«Was machst du, Ricarda? Studierst du?»
«Ja, Menschenrechte!» Ricarda spuckte dieses Wort regelrecht auf den Tisch. «Ich arbeite für eine Gruppe, die Flüchtlingen hilft. Das heißt, wir versuchen zu helfen, weil die wunderbaren Parteifreunde von papà ja alle rausschmeißen, die nicht vorher ersoffen sind! Weißt du was, Mama? Ich schäme mich inzwischen, dass ich Cipriani heiße. Ich werde heiraten müssen, damit ich diesen Namen loswerde! Am besten einen Afrikaner!»
Auf diese Weise hatte Ricarda fast die ganze Zeit gewütet. Zwischendurch hatten sie gegessen, ein bisschen Wein und Wasser getrunken, einen Espresso. Donatella hatte alles über sich ergehen lassen und ihrer Tochter innerlich recht gegeben.
Jetzt war sie wieder in der Villa Cipriani angekommen und holte sich noch ein Glas Wasser aus der Küche. Niemand war da. Offensichtlich hatte Sara die Hunde mit zu sich genommen. Zum Glück war auch Ricardo noch nicht von seinem wichtigen Abendessen mit Parteifreunden zurück.
Langsam ging Donatella in den Salon hinüber, machte kein Licht an, strich mit einer Hand über die schweren samtbezogenen Sofas.
Ich werde hier weggehen, dachte sie.
Später, als sie bereits in ihrem Bett lag, stellte sie sich vor, wie sie von den Carabinieri abgeholt wurde, sah die Fernsehbilder vor sich. Sie musste das unbedingt vermeiden – nicht Ricardos wegen – ihrer selbst und ihrer Kinder wegen.
Sie hörte, wie Ricardo nach Hause kam, hörte seine Schritte auf der Treppe, hielt den Atem an, als er vor ihrer Tür stehen blieb. Ehe sie zu Bett gegangen war, hatte sie die Tür abgeschlossen. Er würde vermutlich ausrasten, wenn er das bemerkte. Aber Ricardo ging weiter und knallte seine Schlafzimmertür zu.
Donatellas Haut fühlte sich heiß und feucht an.
Ich habe niemanden, dem ich das alles erzählen kann, dachte sie. Morgen werde ich mir einen Anwalt suchen, und dann muss ich die deutsche Kommissarin anrufen. Ich muss sie treffen. Sie ist der Mensch, der mehr über mich weiß als alle andern.
Erstaunlicherweise war Guerrinis Wohnung warm, als Laura am nächsten Morgen zurückkehrte, und auch das Duschwasser hatte eine angenehme Temperatur. Es fühlte sich beinahe so an, als sei er wieder da und bereite gerade in der Küche Caffè. Die Nacht im Krankenhaus hatte Lauras Ängste besänftigt, und sie fühlte sich endlich wieder ausgeruhter. Die Schwestern hatten ihr sogar ein Frühstück gebracht – auf Anweisung von Dottor Fausto –, und Angelo hatte auch ein paar Bissen gegessen … Cornetto, getunkt in Milchkaffee.
Aufgrund dieses unvermuteten Energieschubs rief Laura Peter Baumann an und fragte ihn nach der Antwort der britischen Kollegen.
«Ich wollte dich auch gerade anrufen! Die Antwort ist vor einer halben Stunde gekommen. Und du wirst es nicht glauben: Es gibt eine Menge Suttons, aber die sind alle ordentliche Leute, auch unser Sir Benjamin. Er ist wirklich ein Sir und lebt seit vielen Jahren in Hamburg. Verarmter Adel oder so was. Aber bei Tennison wird es interessant: Earl Henry Tennison ist nämlich tot. Er starb vor zehn Jahren im Alter von 92 Jahren. Das ist ja erst mal nicht ungewöhnlich, aber: Er war Besitzer eines Landguts in Wales, das er allerdings beim Glücksspiel verloren hatte. Aus irgendeinem Grund scheint also unser Sir Benjamin die traurige Geschichte des Earl Henry zu seiner eigenen gemacht zu haben – als zweite Identität sozusagen.»
«Klingt ziemlich verquer, oder?»
«Englischer Exzentriker eben, aber gar nicht blöd. Ich bin sicher, dass nicht nur seine Ehefrau von dieser Geschichte zutiefst gerührt war.»
«Vielleicht sogar er selbst», murmelte Laura, und Peter Baumann lachte am anderen Ende der Leitung.
«Also gegen Tennison/Sutton liegt in seiner Heimat nichts Gravierendes vor, höchstens Pass- und Kreditkartenbetrug. Wie geht’s euch?»
«Besser. Angelo scheint das Schlimmste überstanden zu haben. Aber ich muss noch hierbleiben. Könnte sein, dass sich der Fall von Siena aus
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