Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
vergangen sein –, erschien Donatella Cipriani wieder. Ihr Mobiltelefon gegen das rechte Ohr gepresst, ging sie unruhig vor dem Literaturhaus auf und ab. Das Gespräch war kurz, denn sie steckte das Handy gleich wieder ein, sah sich ratlos um und kehrte dann wieder in das Restaurant zurück.
Er ist nicht gekommen, dachte Laura. Welch böse Überraschung. Nicht nett von ihm. Andererseits verständlich, schließlich ist diese Affäre höchst brenzlig und außerdem vorbei.
Wieder vergingen zehn Minuten. Laura begann zu frösteln. Die Wintersonne stand zu tief, um die Straßenschlucht zu erreichen. Ihr Licht streifte nur die obersten Stockwerke der hohen Häuser. Die Hände in den Taschen ihrer gefütterten Lederjacke vergraben, beobachtete Laura den steten Strom der auffällig eleganten Frauen und Männer, die von der Brasserie ein- und ausgeatmet zu werden schienen. Mindestens jeder Zweite mit diesem gewissen Etwas, das Künstler und Autoren auszuzeichnen schien: besonders lange, auffällig lässige Schals, lange Mäntel, große Hüte, schwarz – jedenfalls die Männer. Die Frauen bunter, aber in exquisiten Farben gekleidet und häufig rothaarig. Wenn sie älter waren, trugen sie ungewöhnlich geschnittene Jacken und lange Röcke zu hohen Lederstiefeln. Manchmal drang ein Lachen herüber, eine etwas zu laute Begrüßung.
Laura hatte inzwischen kalte Füße und fragte sich, ob Benjamin doch noch gekommen war oder ob Donatella inzwischen allein frühstückte. Plötzlich erinnerte sie sich daran, wie oft sie auf ihren Exmann Ronald gewartet hatte. In Cafés, auf Bahnhöfen, in Parks, zu Hause. Einmal hatte er sie aus Düsseldorf angerufen, als sie im Nieselregen vor dem chinesischen Turm im Englischen Garten auf ihn wartete. Nachdem sie bereits eine Dreiviertelstunde auf und ab gegangen war, hatte er endlich ihre Nachricht abgehört.
Andere zu versetzen oder komplett zu vergessen hat etwas sehr Verletzendes, dachte Laura. Vor allem, wenn es immer wieder geschieht.
Zehn vor zwölf. Laura schlenderte zur Brasserie hinüber, entschlossen, einen Kaffee zu trinken und ihre illegale Observation im Warmen fortzusetzen.
Sie war nur noch wenige Meter vom Eingang entfernt, als Donatella Cipriani herauskam. Im letzten Augenblick drehte Laura ab, doch die Italienerin achtete nicht auf ihre Umgebung, war ausschließlich mit ihrem Handy beschäftigt. Wieder sprach sie kurz, hielt das kleine Telefon nachdenklich in der Hand, zog dann eine Karte aus ihrer Manteltasche und tippte eine Nummer ein.
Eine Sekunde später vibrierte Lauras Mobiltelefon, sie lief schneller, bog um die Ecke des Hauses und wusste schon, wer anrief.
«Commissaria?»
«Ja.»
«Ich werde den Koffer um eins ins Schließfach bringen. Klappt die Überwachung?»
«Alles ist vorbereitet.»
«Danke.»
«Wann geht Ihr Flug?»
«Um halb vier.»
«Ist alles in Ordnung?»
«Jaja.»
«Wo sind Sie jetzt?»
«In der Innenstadt. Ich werde zu Fuß zum Bahnhof gehen. Mir bleibt genügend Zeit.»
«Ihr Brunch war ziemlich kurz, oder?»
«Weshalb? Er ist noch nicht vorbei.»
«Entschuldigung. Ich dachte, Sie wären schon auf dem Weg zum Bahnhof. Es hörte sich so an.»
«Das war eine Täuschung.»
«Wir werden da sein, Signora, auch wenn Sie uns wahrscheinlich nicht sehen.»
«Grazie.»
Donatella Cipriani hatte das Gespräch beendet. Als Laura vorsichtig um die Ecke des Gebäudes spähte, steckte die Signora gerade ihr Handy in die Manteltasche, griff nach ihrem Rollkoffer und ging langsam Richtung Dom. Laura folgte ihr noch eine Weile, aber Donatella benahm sich höchst unauffällig. Sie schien ausschließlich an den Auslagen der Geschäfte interessiert, bummelte geradezu, betrat sogar zwei Geschäfte und kaufte irgendwas.
Um halb eins gab Laura auf und kehrte zu ihrem Dienstwagen zurück. Ihr war inzwischen nicht mehr klar, ob der englische Liebhaber aufgetaucht war oder nicht und ob diese Affäre und die Erpressung tatsächlich einen tiefen Eindruck auf Donatella Cipriani gemacht hatten. Auf dem Weg ins Präsidium rief sie Kommissar Baumann an.
«Machst du jetzt mit oder nicht?»
«Wo bist du denn? Ich wollte mit dir reden, aber du warst weg. Tür abgeschlossen, niemand zu Hause!»
«Ich hatte etwas zu erledigen. Wenn du mitmachst, dann erzähle ich dir was!»
«Und wenn ich nicht mitmache?»
«Dann erzähle ich dir nichts. Wir sehen uns in fünf Minuten auf dem Hof vom Präsidium. Ich warte im Wagen!»
«Laura! Das ist …»
Sie hatte schon
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