Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
gerade am Ladegerät.»
«Ach so.»
«Komm schon rein, wir sterben gleich vor Hunger!»
Es war fast wie immer, auch jetzt. Luca küsste seine Mutter auf beide Wangen, stellte stolz die Lasagne auf den Tisch und wies auf die Parmesankruste hin, die ihm perfekt gelungen war. Schon während des Essens redeten sie über die wichtigen und ernsten Dinge. Eigentlich hatten die beiden schon alle offenen Fragen geklärt. Luca würde zweimal die Woche zum Abendessen kommen, falls möglich natürlich, und zweimal wollte Sofia zu Luca und ihrem Vater, falls es passte, auch einmal übernachten. Aber nur falls es passte.
Immer wieder redeten sie wild durcheinander, gerieten sich in die Haare, beruhigten sich wieder. Laura hörte zu, aß langsam ihre Lasagne und stellte fest, dass weder Luca noch Sofia auch nur ein einziges Mal fragten, ob sie mit all diesen Plänen einverstanden sei. Zwischendurch musizierte ein paarmal Lucas Handy, er verschickte zwei SMS und verschwand einmal für ein paar Minuten auf dem Balkon, um zu telefonieren.
Vielleicht, dachte Laura, ist es gar nicht so schlecht, wenn Ronald ein bisschen mehr von alledem abbekommt – und ich ein bisschen weniger.
Sie erinnerte sich an die letzte Nacht, als Sofia wie ein Baby in ihren Armen geschlafen hatte, an ihr seliges Lächeln am Morgen. Vielleicht genügte es, wenn junge Menschen ab und zu Kleinkinder sein durften, vielleicht brauchten sie gar nicht mehr, um den nächsten Schritt zu machen.
Das Geplapper schlug über Donatella Cipriani zusammen, als sie vor Ricardo die hell erleuchteten Räume der Kunstgalerie betrat. Man nahm ihnen die Mäntel ab, drückte ihnen Gläser mit Prosecco in die Hand, und sie waren alle da. Alle, die Donatella auf unzähligen Vernissagen immer wieder getroffen hatte. Oder im Theater, Konzert, auf politischen Veranstaltungen, beim Tennis, beim Golf, beim Skifahren in den Dolomiten, auf Sardinien, Korsika.
Sie wurde geküsst, küsste zurück, sah dicht vor sich stark geschminkte, schimmernde Münder, Dreitagebärte, gestutzte Bärte, lächelnde Lippen, lange Ohrgehänge, scharfe Falten unter Puderschichten, Finger mit langen künstlichen Nägeln, Brüste, kaum verdeckt von durchsichtigen Spitzengeweben, absurde Verkleidungen.
Donatella hörte sich selbst reden. Sie redete so selbstverständlich, wie ihre Hände vorhin im Badezimmer ihren Weg gefunden hatten. Dann waren diese ersten Wellen über sie hinweggegangen und hatten sich wieder beruhigt. Sie hielt sich jetzt ein wenig abseits, versuchte herauszufinden, was mit ihr geschehen war.
Die Beleuchtung erschien ihr zu hell, blendete geradezu. Natürlich, da war ja auch noch ein Fernsehteam mit Scheinwerfern. Keiner beachtete die Bilder an den Wänden. Man konnte sie ohnehin kaum sehen, so viele Menschen drängten sich vor ihnen. Nur die obere Hälfte der Gemälde ragte über die Köpfe. Irgendwas Abstraktes, viel Rot und Blau, Farbexplosionen.
Sie hatte Ricardo aus den Augen verloren, jetzt war er wieder da und griff nach ihrem Arm.
«Sie wollen ein Interview. Komm schon, es ist wichtig!»
Er zog sie hinter sich her durch die Menge, die ihr fast feindselig vorkam. Einen Augenblick lang sah sie Hundeköpfe mit hochgezogenen Lefzen auf den Schultern, dann lächelten wieder alle. Man ließ ihr keine Zeit, sie selbst ließ sich keine Zeit. Plötzlich wusste sie, dass sie selbst sich keine Zeit ließ, um genau herauszufinden, was los war. Wegen der Stille und weil sie es vielleicht nicht ertragen würde. Vielleicht.
Die Hitze der Scheinwerfer brannte auf ihrem Gesicht. Sie starrte auf die langhaarige Reporterin, deren Fragen überhaupt nicht zu ihr durchdrangen. Nur ihre wulstigen Lippen, die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen und den breiten schwarzen Lidstrich um ihre zu kleinen Augen nahm sie wahr. Hier und da fiel in dem Redeschwall ein Wort, das Donatella verstand. «Ingegnere Cipriani» zum Beispiel, «Dottor Cipriani» und «candidatura» und «sua bellissima moglie». Die Kamera näherte sich, Donatella lächelte und nickte. Beifall brandete auf. Ricardo legte einen Arm um sie. Wieder Beifall. Die Reporterin mit der Lücke zwischen den Schneidezähnen bedankte sich, und es war vorbei.
«Grazie», sagte Ricardo, «du warst großartig.» Damit wandte er sich um und begann eine lebhafte Unterhaltung mit einigen seiner Parteifreunde. Deren Frauen stürzten sich auf Donatella und gratulierten ihr. Sie begriff erst gar nicht, warum, doch dann funktionierte sie
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