Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
allmählich wieder. Natürlich, sie war die Ehefrau des neuen Hoffnungsträgers dieser Partei der besseren Italiener. Selbst Hoffnungsträgerin, erfolgreiche Unternehmerin, erfolgreiche Ehefrau und Mutter.
Donatella flüchtete auf die Toilette, schloss sich in einer Kabine ein und setzte sich auf den Klodeckel. Sie musste hier weg und diese Kommissarin in München anrufen. Ihre Handflächen waren schweißnass, und ihr Nacken schmerzte. Sie lauschte – niemand außer ihr selbst schien in der Toilette zu sein. Aber Gott sei Dank war es nicht still. Das Stimmengewirr aus den Galerieräumen war deutlich zu hören.
Halb zehn. Sie würde jetzt aufstehen, ihren Mantel holen und mit einem Taxi nach Hause fahren. Ricardo würde ihr Verschwinden nicht bemerken, da war sie sicher.
Ganz zuletzt hatten Luca und Sofia doch noch gefragt, ob Laura mit ihren Plänen einverstanden sei. Sie hatte ja gesagt und es auch so gemeint. Danach waren beide zum Telefonieren verschwunden, und Laura hatte die Küche aufgeräumt, dabei die Nachrichten und anschließend ein bisschen Jazz gehört – und es vermieden, genauer über die Entwicklungen dieses Tages nachzudenken. Es erstaunte sie selbst, dass ihr diese geistige Auszeit glückte. Als sie die Spülmaschine zuklappte, machte sie sogar ein paar Tanzschritte, öffnete dann die Tür zum Balkon und ließ die kalte Winterluft herein. So schnell wie die milden Föhnströme gekommen waren, so schnell wurden sie gerade von kalten Wolkenfeldern verdrängt. Es roch nach Schnee.
Halb zehn. Nachdem der Rest ihrer Familie am Telefon hing, konnte sie getrost schon jetzt Angelo anrufen. Zum Glück war das Wohnzimmer frei. Laura machte es sich auf ihrem weichen Sofa mit dem Sonnenblumenbezug bequem, legte die Beine hoch und wählte Guerrinis Nummer. Es klingelte vier-, fünf-, sechsmal, dann meldete sich sein Anrufbeantworter. Enttäuscht wollte Laura wieder auflegen, sagte dann aber doch etwas nach dem Piepton.
«Na, hat dich jetzt auch eine Leiche erwischt? Hoffentlich wenigstens eine ansehnliche. Du kannst mich bis elf Uhr zurückrufen. Aber ich kann nicht garantieren, dass ich später noch wach bin. Dormi bene, amore. Ich muss unbedingt mit dir reden und werde es morgen früh versuchen. Ciao.»
Es war sehr ruhig in der Wohnung. Luca und Sofia hatten die Türen zu ihren Zimmern geschlossen und sprachen offensichtlich sehr leise in ihre Handys. In Zukunft würde es öfters still sein. Anders still als an diesem Abend. Wirklich still. So wie im letzten Sommer, als beide Kinder in England waren. Diesem heißen Übungssommer, Übung im Alleinsein, Selbstsein, die nicht besonders erfolgreich verlaufen war. Die Stille hatte sie damals ganz gut ausgehalten, aber es hatte lang gedauert, bis sie wusste, was sie selbst wollte. Zum Glück war der Obdachlose Ralf damals aufgetaucht und hatte sie von sich selbst abgelenkt. Er war inzwischen weitergezogen, irgendwohin. Nach Frankreich, hatte er gesagt, weil er das Wort Clochard schöner fand als Penner oder Obdachloser. Er hatte ihr versprochen, eine Postkarte zu schicken, wenn er ein neues Revier gefunden hätte. Im Süden, wo es wärmer war, vielleicht sogar am Mittelmeer. Bisher war keine gekommen. Aber wer weiß, wie der Sommer, wie die Übung im Alleinsein verlaufen wäre, hätte sie Ralf nicht getroffen.
Laura massierte ihren Nacken, bewegte vorsichtig ihren Kopf hin und her. Es knirschte in ihren Halswirbeln. Deshalb ließ sie es wieder bleiben, stand auf und holte sich in der Küche ein kleines Glas Rotwein und verschüttete ein bisschen, als unvermutet ihr Handy brummte. Es steckte noch in ihrem Lederrucksack, und sie musste eine Weile suchen, ehe sie es endlich fand. In der Annahme, dass Guerrini sie zurückrief, schaute sie nicht auf das Display, sagte einfach «Pronto».
«Commissaria Gottberg?»
«Sì.»
«Donatella Cipriani.»
«Oh.»
«Sie wollten, dass ich Sie anrufe. Sie sagten, es sei dringend. Was ist so dringend?»
«Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt mit Ihrem Freund?»
«Warum fragen Sie das? Ich hatte Ihnen doch schon gesagt, dass wir zusammen ein letztes Frühstück nehmen würden. Heute Vormittag. Es … ist ja immer noch heute, obwohl es mir überhaupt nicht so vorkommt.»
«Ich glaube nicht, dass Sie gemeinsam gefrühstückt haben, Signora. Wir haben Benjamin Sutton gefunden. Er ist tot.»
Nach kurzer Stille brach die Verbindung ab.
Laura stellte das halbe Glas Rotwein auf das Tischchen neben dem Sofa und
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