Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
herunter, nass und klebrig, dann hörte er wieder Angela Piselli schreien und noch einen Schuss oder vielleicht auch viele – es war ihm auch gleichgültig. Sein Herz schlug zu schnell, und er hatte Ohrensausen. Obwohl er die Augen geschlossen hielt, schien noch immer irgendetwas zu hell, vielleicht die Sonne.
Als jemand ihn an der Schulter fasste, rutschte er zur Seite, und es wurde dunkel.
«Madre mia!», flüsterte Tommasini. «Commissario, hören Sie mich?»
Guerrini antwortete nicht, er hörte auch nicht die Entsetzensschreie von Angela Piselli oder das rasende Gebell des fliegenden Hundes.
Donatella Cipriani hatte Tee getrunken und einen Toast mit etwas Käse und Honig gegessen. Danach hatte sie in ihrer Firma angerufen und gesagt, dass sie erst gegen Mittag ins Büro kommen werde. Sie war mit den Hunden spazieren gegangen, nur eine halbe Stunde, aber immerhin. Es hatte geschneit, und die Hunde schnappten nach den Flocken, waren ganz verrückt vor Freude über die kalte Luft. Im Sommer lagen sie immer hechelnd herum, aber jetzt waren sie ganz verwandelt. Donatella hatte so etwas wie Eifersucht auf diese Lebensfreude empfunden, hatte die Tiere nach einer Weile scharf zurückgerufen und ihre eigene Stimme überdeutlich gehört. Ihr war, als hätte sie sich selbst zur Ordnung gerufen. Sie fröstelte unter ihrem warmen Mantel.
Auf dem Rückweg betrachtete sie die Villa auf eine Weise, als wohnte sie dort gar nicht, als ginge sie an einem fremden Besitz vorüber. Dunkle Hecken aus Kirschlorbeer verdeckten die Sicht, Mauern und Gitterzäune. Die Bäume im Park hatten kaum noch Laub, das Dach war hoch, der Putz ockerfarben, Donatella konnte eine der Dachterrassen sehen und die kleinen Säulen ihrer Brüstung. Die Spitzen der Metallzäune waren scharf, es half nichts, dass sie vergoldet waren, nahm ihnen nichts von ihrer Wehrhaftigkeit.
Plötzlich sah sie das Bild eines Menschen vor sich, der von diesen goldenen Spitzen aufgespießt wurde, der dort hing und sich nicht befreien konnte. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Solche Vorstellungen hatte sie schon seit ihrer Kindheit: Stürze aus hohen Gebäuden, von Brücken, Flugzeugkatastrophen – und diese angespitzten Gitterzäune. Donatella schüttelte den Kopf und atmete tief ein, schaute wieder auf ihr Anwesen, Ricardos Anwesen.
Das Tor wirkte protzig, ein anderes Wort fiel ihr nicht ein. Sie ging an diesem Tor vorbei, obwohl die Hunde stehen blieben und hechelnd zu ihr aufsahen.
Etwas in ihr hatte sich seit der letzten Nacht verändert. Langsam folgte sie weiter der stillen Straße, lauschte in sich hinein. Nach einigem Zögern rannten die Hunde hinter ihr her, stürmten wieder voraus und hatten die Zurechtweisung schon vergessen. Donatella schlug einen Weg ein, der zwischen den Mauern der großen Villen auf einen Hügel führte. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal hier heraufgestiegen war. Von hier aus konnte sie über die Stadt sehen, entdeckte sogar ein paar Türmchen des Doms, die zwischen den anderen Gebäuden aussahen, als wären sie dabei, zu versinken.
Ich werde die deutsche Kommissarin anrufen und ihr sagen, dass ich eine Kur in
Vita divina
gemacht habe und dass ich Benjamin während dieser Kur kennengelernt habe. Dann wird sie es selbst wissen. Wahrscheinlich weiß sie es schon jetzt.
Donatella rief nach den Hunden und machte sich auf den Rückweg. Als das Haus der Ciprianis wieder zwischen den Bäumen auftauchte, blieb sie stehen.
Ich werde mich von Ricardo scheiden lassen.
Erst als ihr die Ungeheuerlichkeit dieses Gedankens bewusst wurde, stockte ihr Atem. Die Hunde setzten sich neben sie und drängten ihre feuchten warmen Körper an ihre Beine. Donatella beugte sich zu den beiden Tieren hinunter und legte ihre Arme um sie. Es war tröstlich, ihre Lebendigkeit zu spüren, das weiche Fell, die atmenden Flanken.
Später, auf dem Weg in die Firma, wunderte sie sich über ihre Gedanken, schob sie von sich wie eine Laune. Hatte sie sich nicht schon häufig eine Trennung gewünscht? War das nicht beinahe normal in einer Ehe, die schon über zwanzig Jahre alt war?
Nein, sie hatte sich nicht nur eine Trennung gewünscht. In manchen Stunden hatte sie darum gebetet, dass Ricardo einen Unfall haben würde. Dass er von nächtlichen Autofahrten nicht zurückkehren würde, dass ihm auf einer seiner Baustellen etwas zustoßen würde. Dass er einen Herzinfarkt erleiden würde, möglichst in den Armen einer seiner Geliebten.
Tausendmal
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