Nachtgesang
vorbringen oder randalieren konnten. Zuletzt band man sie fest, um auf die Ankunft der Schergen und ihres Vampirgebieters, Lord Nephran Malinari, zu warten. Die Babyopfer wurden in Bündel gewickelt und auf die Tische gelegt, zusammen mit mehr Wein, Lebensmitteln und Süßigkeiten.
Ich war bei Nadia, ›sicher‹ im Wohnwagen meines Vaters. Aus Gucklöchern in den dünnen Wänden warteten wir und beobachteten das Geschehen still und fast ohne zu atmen, wie uns aufgetragen worden war. Denn mein Vater hielt die Wertgeschätzten (ich finde die Idee der ›Liebsten‹ schwer nachvollziehbar) außer Sichtweite der Wamphyri, um nicht versehentlich ihr Interesse zu wecken. Auch Nadias Mutter, Melana Zetra, war dort; Dinu hatte sie angewiesen ebenfalls außer Sichtweite zu bleiben und sich in ihrem Wohnwagen zu verstecken, damit sie durch ihr attraktives Äußeres nicht ungewollt Aufmerksamkeit erregte.
Und in der fünften Stunde nach Sonnenuntergang kamen sie.
Der Himmel war, wie schon gesagt, klar und nur eine warme Brise wehte wie der Atem des träumenden Waldes, der die Flammen des Lagerfeuers streichelte und die Äste der Bäume in der Mitte der Lichtung bewegte. Die Wamphyri haben ihre eigene, seltsame Art, mit der Natur umzugehen; sie zwingen der Luft, der Erde und dem Wasser ihren Willen auf, beherrschen sie wie Säure Metall und formen alles, wie sie es gerne haben.
Wir hatten es alles bereits gesehen: den Nebel, der auf den hohen Gipfeln entstand und wie eine Dampfbö ganz milchig weiß im Mondlicht nach unten schwebte. Der plötzliche Schwall kalter Luft aus dem Grenzgebirge, der gegen die Flammen unseres Feuers schlug, als ob er sie ersticken wollte, und der die sanfteren Winde aus dem Wald eilig zurückweichen ließ. Plötzlich kam von der anderen Seite der Gipfel der erste Fleck aus dunklen Wolken, die blind aus dem Norden herüberwehten und sich wie schlangenartige Finger ihren Weg suchten und dabei den glitzernden Nordstern verdunkelten, als sie kamen.
In diesen Wolken befanden sich die schuppigen Flugkreaturen der Wamphyri, die von hoch oben herabschossen und flatterten wie verwitterte Blätter, die von einem Windstoß erfasst werden, und doch so anders als Blätter, da sie mit Willenskraft gesteuert wurden!
Und oh, das Jammern und Flüstern dieser pestartigen Winde, als die Kreaturen, die auf ihnen ritten – und die, die wiederum auf ihnen ritten – hinunterschwebten und die Luft in ihren wabernden Membranflügeln einfingen und auf den Vorbergen über dem Vadastra-Territorium landeten ... außer, dass, wie ihr inzwischen sicherlich schon selbst bemerkt haben werdet, dieses Land nur dem Namen nach den Vadastra gehörte.
Denn tatsächlich gehörte es dem Wamphyri-Lord Nephran Malinari. Und Malinari war gekommen, um sich seinen Anteil zu holen ...«
KAPITEL NEUNZEHN
MALINARI
In der Düsternis des zerstörten Schachts, in der Dunkelheit von Jakes Traum – der tatsächlich weit mehr war als nur ein Traum, eine metaphysische Verbindung über Harry Keogh zu einem einstigen Leutnant der Wamphyri – fuhr Korath Hirnsknecht mit seiner Geschichte fort:
»Es gibt solche und solche Vampire. In den Wamphyri-Festen auf der Sternseite sah ich Vampire, die so abscheulich waren, dass sie sich gar nicht beschreiben lassen, zu monströs war ihr Anblick, selbst für Vampirknechte.
Normalerweise behielten sie eine menschenähnliche Gestalt bei, aber veränderten verschiedene Körperteile so, wie es ihnen am besten gefiel. Ihre Ohren waren oft zu fantasievollen Skulpturen geformt; gebogene Nasen waren zuweilen mit Goldringen behangen; Arme wurden verlängert, damit sie im Kampf über weitere Distanzen ausgestreckt werden konnten, und manche hatten Zähne, die so lange vergrößert wurden, bis das Sprechen fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Lords behielten oft Kampfnarben als Körperschmuck; eine geschundene Wange wurde so geheilt, dass das Weiß der Knochen durchschien; ein fehlendes Auge konnte an einer anderen Stelle als im Gesicht wieder eingesetzt werden.
Damals gab es einen jungen Lord namens Lesk der Vielfraß, der aufgrund seiner Gelüste so hieß. Er wurde als Kind von der Sonnseite entführt, verbrachte seine Jugend auf der Sternseite, wurde zum Leutnant und erschlug am Ende seinen Herrn, um sich dessen Egel anzueignen. Lesk war nicht ganz dicht und der gestohlene Egel verstärkte seine Verrücktheit nur noch weiter. Als eine dem ermordeten Herrn nahestehende Kriegskreatur sich weigerte, Lesks
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