Nachtgesang
Lords und Ladys zu Hause. Die meisten.
Aber in der Nacht hatten einige Wachen in den Festen an der Westgrenze, als sie auf die rissigen Gipfel der Narkshalde hinuntersahen, gesehen, wie Lord Stakis Nachtlichter – die Kohlenpfannen hinter den Zinnen und Schießscharten seiner Festungsmauern und die Fackeln in seinen Wachttürmen – nach und nach ausgingen, als ob sie von den sintflutartigen Regenfällen ausgelöscht wurden. Aber es erloschen immer noch weitere, als der Regen längst aufgehört hatte.
Der Morgen kam; die Wamphyri schliefen, während die verfluchte Sonne immer höher stieg, bis sie den Zenith erreichte und die Spitzen der höchsten Festen mit ihren Strahlen erhellte und vielschichtige Vorhänge als Schutz gegen die tödliche Hitze zugezogen wurden. Der Tag verging wie jeder andere; bald war es wieder Nacht und die Lords und Ladys erwachten. Licht brannte in allen Festen – außer auf der Narkshalde.
Und langsam aber sicher verbreitete sich die Nachricht. Eine Handvoll Knechte, die überlebt hatten, kamen auf Flugkreaturen oder zu Fuß über das trockene Felsgestein zu den angrenzenden Festen Narbenhöhe und Betörungsstätte und baten jeweils den Herrn und die Herrin dieser mittelmäßigen Burgen um Asyl. Eine Schar Kundschafter flog von der Narbenhöhe auf die Landebucht der Narkshalde hinunter. Später, um Mitternacht, berichteten sie Lord Oulios dem Narbengesicht davon, wie sie die Narkshalde vorgefunden hatten. Und auch vom Zustand von Narkus und seinen drei Leutnants und den Leichen seiner Knechte.
Die Nachricht verbreitete sich schnell bis zu den entlegensten Festen der Wamphyri. Und plötzlich erinnerte man sich an merkwürdige Begebenheiten der Nacht zuvor:
Auf der Dramalshöhe daran, dass, als der Regen am schlimmsten wütete, die Desmodus-Kolonie aus dem Schlaf gerissen worden war. 1.000 große Fledermäuse zitterten allesamt und waren aus keinem ersichtlichen Grund unruhig, flogen wild durcheinander, stießen zusammen und zeterten wütend, als sie in ihrer Höhle kreuz und quer unter der Decke herumflogen. Lord Dramal der Verdammte, der in seinen Privatgemächern vor sich hindöste, wurde von den wirren mentalen Nachrichten seiner Fledermaus-Freunde wachgerüttelt: Ein dunkler Schatten – ein Fremder, ohne Zweifel ein Feind – ist nah vorbeigezogen. Obwohl er von Dunkelheit ummantelt wurde, spürten wir ihn, seine Augen, die auf die Dramalshöhe hinabbrannten. Sie glühten vor Wut und waren voller Hass!
Aber Dramals Wächter, die elend in ihren zugigen Wachtürmen und kalten Steinnischen zusammengekauert saßen und seine flugunfähigen Kriegswachen, die hinter den Erdwällen und auf den verschiedenen felsigen Zugangswegen zur hoch gelegenen Dramalshöhe patrouillierten, hatten nur einen flüchtigen Schatten gesehen: den einer Wolke, sagten sie. Durchgefroren, durchnässt und müde hatten sie sich nicht gewundert, warum der Schatten nach Westen statt nach Norden gezogen war.
Also hatte Dramal seinen Fledermaus-Vertrauten befohlen: Schlaft weiter! Ihr hattet einen Albtraum. Der prasselnde Regen und das Gewitter haben euch von euren staubigen Stangen losgerüttelt. Kein Fremder ist gekommen, um mir oder den meinen auf der Dramalshöhe Schaden zuzufügen.
Ihm und den Seinen nicht, nein ...
Ein ähnlicher Vorfall hatte sich auf Karl Szorkalas Karlspitze ereignet. Und weiter im Westen, auf dem Anwesen von Lady Sasha Lockruf, der Betörungsstätte, wo eine der am Boden stationierten Kriegskreaturen sich aufgebäumt und vergeblich versucht hatte, auf eine dunkle, verschwommene Gestalt loszugehen, die auf einer Landebucht gerade außerhalb von Sashas Reich gelandet war – in Lord Stakis Territorium, aye.
Nun aber zu dem Bericht, den diejenigen, die von der Narbenhöhe auf die Narkshalde geflogen waren, Oulios dem Narbengesicht auf seinem hochgelegenen Anwesen erstatteten, als sie zurückkehrten. Die Narkshalde war intakt, wie auch die Flug- und Kriegskreaturen, die alle brav an Ort und Stelle standen, wenn auch nervös, unbeaufsichtigt und hungrig. Vampirknechte jedoch – Männer wie Frauen, Eunuchen wie Krieger, insgesamt an die 20 – lagen tot in ihren Betten oder dort, wo sie gerade Dienst getan hatten: in den Mauern und Korridoren, auf den Wehrgängen und in Narkus’ Harem. Auch Narkus selbst und seine drei Leutnants lagen tot in ihren Gemächern.
Tja, die Narkshalde war kaum eine so gut gesicherte Feste wie die hoch oben gelegene Dramalshöhe. Narkus hat – oder hatte –
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