Nachtgesang
weshalb sie gestern so distanziert gewesen war. Aber Korath ...?
Wieder hallte der Name in seinem Geist wider – schrillten da etwa auch Alarmglocken in seinem Geist? –, diesmal noch deutlicher – und er runzelte angestrengt die Stirn, als er versuchte, sich das, was er bedeutete, wieder ins Gedächtnis zu rufen. War es etwas, das er geträumt hatte?
Jake hatte einiges über Träume gelesen und wusste, dass sie vielen Menschen sehr viel bedeuteten. Seine Träume waren allerdings gewöhnlich trivial und schnell wieder vergessen, verblasste Abbilder von ausgereifteren Ideen und Konzepten, die er, während er wach war, entwickelt hatte. Er fragte sich: Wie oft erinnert man sich detailliert an seine Träume und für wie lang?
Albträume waren eine Sache (denn sie hinterließen dauerhafte Eindrücke, wenn auch nur mit Hilfe von Emotionen und Furcht), aber normale oder gar angenehme Träume? Und wieder dachte er: Korath? Aber dieses Mal war es ein absichtlicher, ungeschützter Gedanke.
Und zwar in Totensprache.
Sofort war da jemand – oder etwas – in seinem Geist. Schatten formierten sich undder Jemandkam mit ihnen.
Du hast mich gerufen! , antwortete eine schleimige Stimme überrascht und zugleich erfreut und erschreckte Jake. Du hast dich erinnert. Aber an wie viel? Es ist alles da, Jake, und wartet darauf, zu dir zurückzukommen. Ich fühle, dass du schockiert bist – wie du dich vor mir zurückziehst – und ich frage mich: Erinnerst du dich wirklich ? Was ist los, Jake? Warum hast du nach mir gerufen?
»Was zum ...!?«, rief Jake und errichtete sofort, instinktiv, mentale Schutzschilde, die dieses Ding, diesen anderen, diesen Korath – wer auch immer er war – aus seinem Geist aussperrten.
Der andere floh oder wurde sofort verbannt und Jake hörte, wie er ging; er schrie vor Wut, Frustration und weil er verleugnet worden war, als er im Totensprachen-Äther verschwand:
Nein, Jake, nein! Schick mich nicht weg! Du wirst bald wissen, wie sehr du mich brauchst. Und denk immer daran: Ich habe die Zahlen! Ich habe die Zahlen, Jake, und ich kenne den Weeeeeg!
Dann war er weg ...
»Hä?«, machte Lardis und starrte Jake, dessen Gesicht blass und ausgemergelt aussah, intensiv an. »Hä, was? Was ist los? Du bist so zusammengezuckt. Du hast etwas gesagt. Und wie du aussiehst ...«
»Pssst!« Jake schüttelte den Kopf, konzentrierte sich und spürte, wie seine Erinnerungen zurückkamen! Er erinnerte sich an alles, aber am meisten daran, dass er beinah einen Pakt mit einem Vampir geschlossen hätte. Und er erinnerte sich an noch etwas: Harry Keoghs Warnung, dass selbst ein toter Vampir gefährlich sei und dass man ihm niemals Zugang zu seinem Geist gewähren sollte!
»Du siehst nicht gut aus!«, bemerkte der alte Lidesci.
Jake sah ihn an, schluckte und riss sich zusammen. »Nicht ... nicht der Rede wert«, sagte er. »Zumindest gibt es nichts, worüber ich reden möchte. Vielleicht später – mit Liz und Ben Trask –, wenn unser Einsatz heute Nacht zu Ende ist.«
In der Zwischenzeit ... kramte er einen Kugelschreiber hervor und begann, auf Liz’ Papier mit zitternder Hand Notizen zu machen.
Denn obwohl er sich noch nicht im Klaren über alles war, was mit ihm passierte, egal ob diese letzte Offenbarung ein Tagtraum, ein gedanklicher Aussetzer, ein Beweis für eine gespaltene Persönlichkeit oder was auch immer war, wusste Jake doch, dass er sich daran einfach genauestens erinnern musste und es sich wirklich nicht leisten konnte, etwas davon zu vergessen ...
Der zweite Helikopter setzte seine Spezialeinheit in Gladstone ab und tankte. Früher am Tag hatten drei SAS-Männer die lange Fahrt nach Gladstone auf sich genommen, um zu überprüfen, dass mit dem Boot der Küstenwache alles in Ordnung ging. Nun trafen die zwei Einheiten für eine kurze Besprechung aufeinander.
Der Angriff auf die Insel würde zweigeteilt sein. Mit Stabsfeldwebel Joe Davis und vier Unteroffizieren sollten Jake und Lardis Lidesci in der Luft bleiben; vier weitere Unteroffiziere sollten auf das Boot.
Die Stunde Null – die Uhrzeit, zu der der gleichzeitige Angriff auf die Insel der Capricorn-Gruppe und das Berg-Resort von Xanadu starten sollte – war für 6:30 abends geplant. Das Wetter war gut und das Meer ruhig. Es waren nur noch 90 Minuten bis zu dem Zeitpunkt und das Boot fuhr los.
Eine Stunde später, als das Licht schwächer wurde, während die Sonne hinter dem Australischen Bergland versank, erhob sich der zweite
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