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Nachtgesang

Nachtgesang

Titel: Nachtgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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betraf: Es war wie eine Art Paradoxon: Die Monate vergingen wie viele Jahre! Ich konnte sie nicht vergessen – ich wollte sie immer noch – und das Übel, das die Familie noch zu sühnen hatte, verblasste langsam in meiner Erinnerung zu einem Ereignis aus ferner Vergangenheit.
    Aber vorher noch, kurz nachdem ich das Krankenhaus verlassen hatte, fand ich Castellanos Villa. Ich fand sie ganz leicht, indem ich den Verfolger verfolgte. Ich hatte mir einen Vollbart stehen lassen, meine Koteletten grau gefärbt und meine Art mich zu kleiden geändert, mir sogar ein Hinken antrainiert. Oder besser gesagt hatte ich das Humpeln, das eine Hinterlassenschaft von dem Zusammentreffen mit Jean Daniel gewesen war, beibehalten. Insgesamt sah ich ziemlich viel älter aus. Und ich hielt mich aus Bars fern, denn das waren Orte, wo man mich vermutete, und darauf hatte man gewisse Leute sicherlich hingewiesen. Aber in einer einsamen Nacht – ich weiß nicht, vielleicht hoffte ich wider aller Erwartung, dass Natascha dort sein würde – ging ich wieder in die Bar, in der ich sie damals getroffen hatte.
    Ich hatte wirklich gut daran getan, diese Verkleidung anzulegen, denn Jean Daniel war dort. Er war allein da und bemerkte mich nicht. Aber als er ging, wartete ich in meinem Auto auf ihn und folgte ihm zur Villa. Dort saß ich dann also außer Sichtweite und beobachtete, beobachtete die Klientel, harte Männer, allesamt! Dann verfolgte ich sie ein paar Wochen lang. Schön und gut, jetzt kannte ich alle Orte, die ich meiden sollte, wenn Natascha je nach Marseille zurückkam; ich wusste nun genau, welche Wege ich besser nicht einschlagen sollte, wenn ich sie dort rausbringen wollte. Und ich wusste, wie ich sie schnell herausbrachte.
    Denn ich verwarf allmählich meine ursprünglichen Pläne und kam zur Vernunft. Diese Leute waren hart und sehr ernst zu nehmen. Vielleicht wäre es also ganz klug gewesen, diese Rachegeschichte zu vergessen, einfach Natascha zu schnappen und nach Hause zu fliehen. Falls sie je zurückkam.
    Und sie kam.
    Es war vor weniger als drei Jahren Anfang November. Ich erhielt eine Nachricht von einem Freund, der mir eine Moskauer Telefonnummer mitteilte. Als ich dort anrief ... wusste ich, dass es nur Natascha sein konnte. Sie hatte Angst. Castellano hatte ihr schwer zugesetzt, ihren Ruf bei der Moskauer Mafia ruiniert. Sie ließen sie lange auf sich allein gestellt, hatten sie fast vor die Hunde gehen lassen. Sie fand keine Arbeit und schließlich war sie verzweifelt. Sie hatte einen Mafiaboss angefleht, wieder ins Drogengeschäft einsteigen zu dürfen. Und jetzt kam sie nach Marseille. Aber Castellano wusste, dass sie kam, und sie hatte größere Angst denn je.
    Ich fragte sie, ob sie sich an unsere früheren Pläne erinnerte. Das tat sie und war bereit, alles zu tun, was ich mir ausgedacht hatte. Aber ihre eigene Idee war noch viel waghalsiger: Sie wollte ihre Drogenlieferung billig an einen rivalisierenden französischen Clan abgeben und dann mit dem Geld durchbrennen! Selbst billig verkauft würden die Drogen noch eine viertel Million Pfund einbringen!
    Zuerst war ich dagegen. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee. Wäre es nicht genauso gut oder sogar besser als die körperliche Rache, die ich ursprünglich geplant hatte? Und es würde sie alle treffen, nicht nur Jean Daniel, der augenscheinlich mein Hauptopfer gewesen wäre.
    Natascha hatte ihren Käufer bereits kontaktiert; sie sollte mit einer Jacht ankommen, aber stattdessen hatte sie vor, nach Marseille zu fliegen. So hatte sie Zeit, ihre Lieferung loszuwerden und aus Frankreich zu flüchten – mit mir, natürlich –, bevor Castellano und seine Leute überhaupt bemerkten, dass sie nicht da war. Meine Rolle war denkbar einfach: Ich sollte wie der Teufel aus Lyon, Dijon, Paris und schließlich dem Tunnel heraus fahren. Ich hatte die Strecke genau angeschaut und konnte keinen Haken an ihrem Plan finden. Wir würden an Bord eines Zuges und unter dem Ärmelkanal sein, noch bevor die Marseiller Mafia überhaupt Nataschas Spuren zurückverfolgen konnte. Das glaubten wir jedenfalls.
    Vielleicht wäre es einfacher gewesen zu fliegen. Aber das hätte für mich bedeutet, mein Auto zurücklassen zu müssen. Ich hatte einen superschönen Wagen, einen Peugeot. Außerdem, wären wir geflogen, hätte es die Familie viel einfacher gehabt, unsere Spuren zu verfolgen. Ich war so ein Idiot, ich hatte immer noch nicht begriffen, welche Art

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