Nachtgesang
dann sperren Sie dieses Arschloch dort ein!«
Und das war alles.
Jetzt konnten sie endlich alle eine Mütze Schlaf nehmen. Wenigstens ein klein bisschen schlafen, ein Segen ...
Aber Jake Cutter machte sich nicht so viel aus Schlaf. Seit einiger Zeit, genau genommen seit seinem seltsamen Ausbruch letzte Woche, war Schlafen ein Problem. Oh, er konnte schon schlafen, und er konnte auch Schlaf gebrauchen – eigentlich waren seine Augenlider schon ganz schwer, weil er sie so lange offen gehalten hatte –, aber er wollte nicht. Denn wenn er schlief, dann wachte der andere auf. Dieser verdammte andere, der da irgendwo in seinem Gehirn hauste. Und wenn Jake schlief ... tja, dann konnte er nicht einmal sicher sein, dass die Träume überhaupt seine eigenen waren.
Er hatte Ben Trask nichts davon erzählt, hauptsächlich, weil er ziemlich sicher war, dass es Trask brennend interessieren würde. Es war die Art der Beziehung, die sich zwischen den beiden entwickelte: Genau wie der Chef des E-Dezernats weiterhin Informationen für sich behielt, so tat es auch Jake Cutter. Seiner Meinung nach konnte Vertrauen nur entstehen, wenn es beidseitig war.
Also musste er alleine damit klarkommen, und Schlaf war eine Notwendigkeit, die er, so gut er konnte, umging, aber nicht, ohne zu wissen, dass es trotz allem eine Notwendigkeit blieb. Es wäre ja gar nicht so schlimm – redete er sich zumindest ein –, wenn er sich danach an diese seltsamen Träume erinnern könnte, wenn er wach war; oder vielleicht war es doch schlimm. Und vielleicht konnte er sich gerade deshalb nicht daran erinnern: weil er einfach nicht wollte ...
Lardis Lidesci saß eine Weile bei Jake, warf etwas Holz auf das erlöschende Feuer, öffnete eine Dose Würstchen mit Bohnen in Tomatensoße und aß alles kalt. Der alte Lidesci schmatzte genüsslich. »Ich könnte auf einige Dinge hier ..«, begann er und fing dann noch einmal an: »... auf die meisten Dinge hier könnte ich verzichten. Aber einen Dosenöffner und eine Dose Bohnen ...« Er grinste, schmatzte dann wieder und schüttelte den Kopf. »Tja, diese Bohnen und das Fleisch in diesen Dingern – Würstchen – , das ist viel einfacher für meine knorrigen, alten Hauer zu verarbeiten als gebratene Bergziege, das kann ich dir sagen!«
Er hielt die leere Dose in einer Hand, den Dosenöffner in der anderen und betrachtete beides bewundernd, rülpste und seufzte dann zufrieden. »Aber da meine Leute keine Dosen haben, was würde ihnen da ein Dosenöffner bringen?«
»Sie und Trask können einen Mann um den Verstand bringen!«, erklärte ihm Jake, ohne ihn anzusehen. »Aus heiterem Himmel erzählen Sie alle möglichen komischen Sachen und erwarten dann auch noch von mir, dass ich irgendwas davon verstehe. Ich habe jetzt schon genug gesehen, um zu erkennen, dass es sich nicht um einen Scherz mit gigantischen Ausmaßen handelt, also, um was zur Hölle handelt es sich dann?«
»Hölle trifft es ganz gut!«, grunzte Lardis und kam ächzend auf die Füße. Er legte Jake eine Hand auf die Schulter. »Aber, mein Sohn, glaub mir: Ben hat nicht vor, dich in den Wahnsinn zu treiben, und ich auch nicht. Wir sagen all das vielleicht in der Hoffnung, dass dir etwas klar wird, hoffen, dass du dich vielleicht erinnerst.«
Etwas in Lardis’ schroffer, alter Stimme brachte Jake schließlich dazu, ihn anzusehen. »Aber woran soll ich mich erinnern?«, fragte er.
Es war, als blickten sie einander tief in die Seele. Einen Moment – nur einen kleinen Moment – schien es, als würden sie sich, oh, schon seit geraumer Zeit kennen. Dann nickte Lardis und sagte, als ob er Jakes Gedanken gelesen hätte:
»An einem anderen Ort? In einer anderen Zeit, vielleicht?«
»Welcher Ort und welche Zeit?« Obwohl Jake sich wirklich bemühte zu verstehen, gelang es ihm nicht. »Können Sie sich deutlicher ausdrücken?« Er war nun nicht mehr verärgert, aber er wollte verstehen.
»Vielleicht in einer Zeit auf Starside«, sagte Lardis, und starrte Jake immer noch an, »als ein Mann und sein halb menschlicher Nachwuchs die Festen der Wamphyri in Schutt und Asche legten? Oder zu einer Zeit, als derselbe Mann in den Armen einer wunderbaren Frau namens Nana Kiklu lag. Oder zu der Zeit, als wir uns begegnet – das letzte Mal begegnet sind, dieser Mann und ich –, in den Ruinen im Garten des Herrn, als es für ihn schon viel zu spät war ...«
Lardis Worte zauberten Bilder herbei, die kamen und gingen. Sie hatten eine Bedeutung – soviel war
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