Nachtgesang
Necroscope? Ein Instrument, mit dem man Leichen sehen kann?«
»So ähnlich«, erklärte ihm Trask.
»Und das macht für Sie Sinn?«
»Für Sie irgendwann auch«, antwortete Trask. »Hoffe ich jedenfalls.«
Jake schüttelte den Kopf. »Sie glauben also, dass Harry Keogh, dieser Necroscope, der Tote sieht, in meinem Kopf ist? Also, ich weiß, dass ich schon öfter versucht habe, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, aber was zum Teufel ist dieser Kerl? Eine Art Telepath?«
Trask nickte. »Das war er, am Ende.«
»War?« Jake runzelte die Stirn. »Am Ende?« Schließlich schnippte er mit den Fingern. »Oh ja, es gibt da noch etwas. Lardis erwähnte eine Bombe – eine Atombombe? –, die durch das Tor nach Starside kam. Ich habe irgendwie den Eindruck bekommen, dass Harry und dieser, äh, dieses Mischwesen, das sein Sohn war, der Herr des Gartens, dass die zu dem Zeitpunkt dort waren.«
Sie näherten sich der Treppe am hinteren Ende des Fahrzeugs. Trask hielt inne und ergriff Jakes Arm. »Sie waren da«, sagte er mit rauer Stimme. »Und bevor Sie mich fragen, nein, Harry ist nicht entkommen.«
»Was?«, fragte Jake.
Trask stieg die Stufen hinauf und war kurz davor, einzutreten, doch dann drehte er sich um und schaute zurück. »Harry Keogh, der Necroscope – der ursprüngliche Necroscope –, ist von uns gegangen, tot, Jake«, sagte er. »Auf der einen Seite ein unglaublicher Verlust, auf der anderen eine Erlösung und wahrscheinlich auch ein Segen.«
»Tot?«, fragte Jake und ihm war plötzlich trotz der grell scheinenden Morgensonne kalt. »Wie kann er dann ...?«
»... Harry ist von uns gegangen«, unterbrach ihn Trask. »Er ist nur noch ein Geist des E-Dezernats. Aber ob er nun von uns gegangen ist oder in Ihnen weiterlebt, er war noch nie wichtiger für uns als jetzt ...«
In der Zentrale des Trucks saß der diensthabende Beamte zusammen mit dem Seher Ian Goodly im Hauptkontrollbereich. Liz stand außerhalb des Schreibtischs und ruhte mit den Ellbogen auf der inzwischen leer geräumten Oberfläche. Mir ihren Händen stützte sie ihr Kinn. Außer einer minimalistischen Ausrüstung – der immer noch vorhandenen Telefonanlage, einem kleinen, rauschenden Funkgerät und einem schwach erleuchteten Wandbildschirm – war mehr oder weniger alles weggeschafft oder außer Betrieb genommen worden, wenn auch nur zeitweise.
Als Trask und Jake eintraten, verfielen die Anwesenden in unbeholfenes Schweigen, aber der Chef des E-Dezernats hob eine Hand und sagte: »Es ist in Ordnung, ich möchte, dass ihr bleibt. Ich muss mit Jake sprechen, aber ich sehe keinen Grund, irgendjemanden auszuschließen. Ian, wenn ich Mist erzähle oder wichtige Details auslasse, darfst du mich ruhig korrigieren. Und Liz, für dich ist vielleicht auch die eine oder andere neue Information dabei.«
Er schwang sich auf den Schreibtisch und Jake setzte sich auf einen der Klappstühle an der Wand gegenüber. Dann erzählte Trask ohne Umschweife seinen Teil der Geschichte.
»Jake, Lardis Lidesci hat Ihnen schon etwas über seine Welt erzählt, eine Parallelwelt, die von ihren Bewohnern Sonn- und Sternseite genannt wird. Er hat Ihnen von Vavara, Szwartz und auch Malinari berichtet. Inzwischen wissen Sie, dass es sich dabei nicht um Figuren aus Mythen oder Legenden handelt, sondern um eine wahre Bedrohung für jedermann in unserer Welt. Sie sind hier, verstecken sich irgendwo auf der Erde und warten darauf, dass ihre Zeit kommt. Das müssen Sie bitte als gegeben hinnehmen und glauben, dass es so ist, denn letzte Nacht war bloß eine Lektion – eine Einführung, ein einzelnes Blatt – aus dem Großen Lehrbuch der enormen Bedrohung durch die Wamphyri.
Lassen Sie uns also Schritt für Schritt vorgehen. Wie sie hierherkamen, muss das erste Thema sein, das steht fest.
Vor fünf Jahren wurde das Tor von Perchorsk versperrt. Das haben wir zum Großteil Gustav Turchin zu verdanken. Aber Turchin ist nur ein Mann und Russland ein großes Land; der Expansionsdrang ist immer noch vorhanden; es gibt immer noch genug mächtige Leute in der ehemaligen Sowjetunion, die sich nach den ›guten, alten Zeiten‹ sehnen, als ihre Satellitenstaaten Mütterchen Russland Tribut zollen mussten. Obwohl der Kommunismus angeschlagen sein mag, heilen seine Wunden schnell und die Weltbühne ist bereit für eine Wiederauferstehung. Die Russen sind ziemlich bekannt für ihre Fähigkeit, immer mal wieder eine Revolution anzuzetteln, und ihre Armee selbst ist schon ein
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