Nachtgespenster
Sehr zögernd. Sie schaute sich um, ob irgendwelche Gefahren in der Nähe lauerten. Sie sah nur den Wald und mein Lächeln, mit dem ich sie begrüßte.
Die junge Frau hatte sich umgezogen und auf ein Kleid verzichtet. Ihre Kleidung war zweckmäßiger. Eine dunkle lange Hose, hohe Turnschuhe, blauer Pullover, braune Lederweste. Sie wirkte ängstlich und sah farblos aus. Dem Gesicht schien Schminke zu fehlen, und auch ihr Lächeln wirkte verloren.
Doreen ging sehr langsam. Ihre Füße schleiften dabei über den Boden hinweg. Sie knickten das Gras und ließen das alte Laub leicht rascheln. Noch immer wirkte sie auf mich ängstlich und unsicher. Ihr Blick war fahrig. Hin und wieder zwinkerte sie mit den Augenlidern.
Ich streckte ihr die Hand entgegen, wie es eine Mutter tut, wenn ihr Kind die ersten Schritte lernt. »Du brauchst keine Furcht mehr zu haben, Doreen. Es ist vorbei. Ich will es dir zeigen. Komm zu mir. Bleib neben mir stehen.«
Mit einer schüchternen Geste strich sie durch ihr fahlblondes Haar. Sie hatte es nach hinten gekämmt, und es wurde im Nacken von einem Gummiband gehalten.
Wie ein Vampir sah diese junge Frau keinesfalls aus. Eher wie ein Mensch, der zu früh aus dem Krankenhaus entlassen worden war und im Moment nicht wußte, wohin er sollte.
»Hier bin ich«, sagte sie leise. Sie wollte damit ihre Verlegenheit überbrücken.
»Ich habe auf dich gewartet, Doreen.«
»Ach - wirklich?«
»Klar. Wir waren doch irgendwo verabredet.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Nun ja, du darfst nicht alles so eng sehen. Sagen wir es so. Beide hatten wir den gleichen Gedanken. Als Treffpunkt konnte nur dieser Ort, den wir kennen, in Frage kommen. Aber jetzt haben wir Tag, und es stört uns keine Dunkelheit mehr.«
»Das ist wahr«, gab sie zu.
»Eben.« Ich zwinkerte ihr zu. »Du stehst noch etwas weit weg. Ich möchte dir was zeigen.«
Sofort keimte wieder Mißtrauen in ihr. »Was denn?«
»Das wirst du sehen, wenn du zu mir gekommen bist.«
Doreen überlegte nur kurz. Schließlich war sie bereit und deutete es mit einem Nicken an. Es waren nur zwei Schritte, die uns trennten, dann hätte ich sie berühren können, was ich bleiben ließ. Ich wollte sie nicht verunsichern.
Wir standen dicht nebeneinander. Ich wies auf die ruhige Oberfläche des Teichs. »Schau hin, Doreen. Sieh dir den Teich an. Auf der Oberfläche gibt es Lücken. Gerade hier vorn. Dort schau hin und sag mir dann, was du siehst.«
Sie nickte und beugte sich leicht vor. Ich war gespannt, wie sie reagieren würde, wenn sie plötzlich ihr Spiegelbild auf der Oberfläche entdeckte. Ich hatte diesen schwachen Abdruck schon gesehen, und in den folgenden Sekunden wurde auch Doreen klar, was sich dort abzeichnete.
Sie fing an zu zittern. Es mußte für sie eine Überraschung sein, die sie so einfach nicht verkraften konnte. Ich hörte ihr tiefes Luftholen und bekam auch mit, wie sie für einen Moment die Augen schloß, als hätte sie sich vor dem eigenen Spiegelbild erschreckt.
»Nun…?«
Nicht ich, sondern sie faßte mich an. Doreen brauchte jetzt eine Stütze. »Das bin ich«, flüsterte sie so erstaunt wie jemand, der sein Spiegelbild zum erstenmal sieht.
»Klar. Und ob du das bist. Es ist dein Bild. Du kannst dich sehen, Doreen. Du bist nicht mehr die Person, die du noch in der letzten Nacht gewesen bist. Die Verwandlung ist vorbei, Doreen. Du bist wieder zu einem Mensch geworden.«
Sie hatte zugehört. Dann nickte sie. Und plötzlich fing sie an zu weinen, während sie sich gleichzeitig gegen mich lehnte und sich an mir stützte. Es war auf einmal alles anders geworden. Sie stand wieder in der normalen Welt und konnte sich auch darin zurechtfinden. Das mußte ihr wie ein Wunder vorkommen. Deshalb war sie auch so überrascht gewesen.
Ich ließ sie in Ruhe. Beinahe so eng umschlungen wie ein Liebespaar standen wir am Teichufer. Ich strich über ihren Rücken hinweg. Sie sollte die menschliche Wärme spüren und wissen, daß jemand bei ihr war.
Ich gab ihr Zeit. Wir hatten nichts zu verlieren. Zumindest nicht am Tage. Später, wenn sich die Dunkelheit über das Land senkte, würde es anders aussehen, aber das würde noch dauern. Wir würden zudem auch zusammenbleiben. Ich hatte mir vorgenommen, Doreen La Monte nicht aus den Augen zu lassen und so etwas wie einen Leibwächter für sie zu spielen.
Schließlich hob sie den Kopf und zog auch die Nase hoch. Dann hörte ich ihr Räuspern.
»Ich habe es gewußt, John. Ich
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