Nachtgespenster
an dich gewandt habe, weil ich nicht mehr leben wollte. Es wird wiederkehren, John. Ich bin nicht dazu geschaffen, eine Blutsaugerin zu sein. Ich möchte ein Mensch sein, aber ich bin es nicht. Immer wenn die Zeit des Vollmonds eintritt, zieht es mich zu diesem Schloß. Es ist, als würde ich auf dem bleichen Licht wandern, das mich dann zu meinen Eltern bringt. Ich habe schon oft versucht, dagegen anzukämpfen, doch die Kraft des Mondes ist stärker. So bleibt mir nur das Dasein als Zwitter.«
»Hast du einen Beruf?«
»Ich bin Graphikerin und male. Außerdem selbständig. Da kann ich es mir leisten, mal eine Woche zu verschwinden. Sonst wäre es ja nicht möglich.«
»Stimmt auch wieder, Doreen.« Als sie nichts mehr sagte und auf ihre Schuhspitzen starrte, übernahm ich wieder das Wort. »Darf ich dich noch einmal nach deinem Vater fragen?«
»Bitte.«
»Warum hat man ihn verflucht?«
Sie hob die Schultern. »Das kann ich dir nicht genau sagen. Es ist ein Geheimnis, und es liegt in der Vergangenheit begraben.«
»Dann ist er schon alt?«
»Ja.«
»Aber er muß existieren können, Doreen. Ein Vampir braucht Blut, das weißt du auch.«
Doreen hob den Kopf an. Sie atmete scharf ein und ihre Haltung spannte sich. »Ich weiß, daß er Blut braucht. Er würde auch in seinem Schloß vergehen, wenn er nichts bekommt. Da er es nicht verlassen kann, muß es jemand geben, der ihm das Blut besorgt. Ihm Opfer zuführt, John, verstehst du das?«
»Ich glaube schon.« Eine kleine Pause entstand. Dann fragte ich mit leiser Stimme: »Du etwa?«
Doreen antwortete mit einem heftigen Nicken.
Ich war nicht einmal überrascht, und sie hörte auch von mir keine Vorwürfe. »Hast du deinem Vater…«
»Ja, ja, ja!« brachte sie keuchend hervor. »Ich habe es. Ich habe alles so getan. Aber ich habe ihm keine Menschen zugeführt, John, verstehst du? Keine Menschen. Nur immer Tiere, die er ausgeschlachtet hat. Nur will er jetzt menschliches Blut haben. Es geht ihm immer schlechter. In der vergangenen Nacht hat er mich vor die Wahl gestellt. Wenn ich es nicht schaffe, ihm Menschenblut zu besorgen, ist für mich alles vorbei. Dann wird er mich umbringen und keine Rücksicht darauf nehmen, daß ich seine Tochter bin.«
»Wie hast du reagiert?«
Doreen zog die Nase hoch. »Ich schäme mich so!« Sie schlug ihre Hände vors Gesicht.
»Bitte«, sagte ich. »Hast du deinem Vater für die folgende Nacht ein Opfer versprochen?«
Das »Ja« war kaum zu verstehen.
»Du hast dabei an mich gedacht?«
Sie wollte aufspringen und weglaufen. Ich war schneller und hielt sie fest. Doreen taumelte und fiel zurück. Ich fing sie ab und drückte sie wieder auf ihren Platz. »Keine Sorge, Doreen. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Wenn ich dir sage, daß mir dieser Plan sehr paßt, dann wird es für dich zwar schwer zu glauben ein, aber es stimmt. Ich wäre sowieso in das Schloß gekommen, um nach dem Verfluchten zu suchen.«
Sie blieb stumm. Ich ließ Doreen in Ruhe. Sie mußte zunächst einmal mit sich selbst zurechtkommen. Schließlich atmete sie stöhnend ein. »Jetzt weißt du alles.«
»Nein, nicht alles, Doreen. Ich bin mir noch immer nicht sicher, was mit deinem Vater wirklich geschehen ist. Wer kann ihn verflucht haben? Wie ist er zum Vampir geworden?«
»Es waren die Nachtgespenster, glaube ich.«
»Wie kamen sie dazu?«
Doreen kratzte an ihren Händen. Sie war nervös. Das Thema wühlte sie auf. »Er scheint sich wohl nicht an die Regeln gehalten zu haben«, sagte sie.
»Indem er ein Kind zeugte?«
»So kann es gewesen sein. Oder muß es sogar. Aber das weiß ich alles nicht so genau.«
»Kannst du mir genau erklären, wer diese Nachtgespenster sind?«
»Quälgeister. Rachegeister - ich weiß es nicht genau.«
»Oder Vampirgeister?«
»Das ist auch möglich.«
»Okay, Doreen, dann wissen wir schon mehr. Jetzt ist nur wichtig, daß wir ins Schloß kommen.«
»Am Tag?«
»Warum nicht? Er ist doch anwesend - oder?«
»Ja, er muß dort irgendwo sein. Tagsüber versteckt er sich. Selbst die dicken Mauern schützen ihn nicht mehr so, wie er es gern gehabt hätte. Die hellen Strahlen der Sonne spürt er, auch wenn er sich in den finstersten Winkel verkrochen hat. Er ist schwächer geworden, und er kann seine alte Stärke nur zurückgewinnen, wenn er das Blut eines Menschen trinkt und nicht das eines Tieres.«
»Dann bin ich ja richtig.«
Doreen war über mein Lächeln irritiert. »Das begreife ich nicht, John. Du
Weitere Kostenlose Bücher