Nachtgespenster
nimmst es so locker, als wäre es nichts. Hast du vergessen, daß mein Vater ein Vampir ist?«
»Nein, das habe ich nicht. Aber du solltest auch wissen, daß mir Vampire nicht fremd sind. Für dich mag es wie Zufall aussehen, daß ich hier erschienen bin. Es kann auch Zufall gewesen sein. Doch daran glaube ich nicht so recht. Ich habe mehr den Eindruck, als liefe mein Leben auf der Schiene der Bestimmung.«
Doreen La Monte hatte sich wieder gefangen. Zwar war ihr Gesicht vom Weinen noch gerötet, aber sie schaute jetzt wieder recht normal und auch skeptisch drein. »Wer bist du wirklich, John?«
»Jemand, der es gut mit dir meint.«
»Der mich dann töten muß, wenn ich mich wieder in eine Blutsaugerin verwandelt habe?«
»Das steht noch nicht fest. Eine andere Frage. Hast du dich denn schon vom Blut der Menschen ernährt?«
Doreen sah aus wie jemand, der nicht wußte, ob er die Antwort nun geben sollte oder nicht. Deshalb dauerte es einige Zeit, bis sie sich dazu durchrang. »Ich bin nahe daran gewesen«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Aber ich habe es nicht getan. Ich konnte es einfach nicht. Der letzte Rest war nicht möglich.«
»Das ist sehr gut, Doreen.«
Sie zuckte die Achseln. »Wer weiß, was noch alles auf mich zukommt. Die vor uns liegende Nacht ist die schlimmste. Ich werde zu einem Tier werden, und dann weiß ich nicht, ob ich auf dich noch Rücksicht nehmen kann, John.«
Ich reichte ihr die Hand. »Wir werden sehen. Jetzt komm hoch. Es ist am besten.«
»Wohin?«
»Zum Schloß natürlich…«
***
Der Tag war angebrochen. Der Earl of La Monte sah ihn nicht, er spürte ihn nur. Und er haßte diesen hellen Herbsttag, an dem die Sonne so hoch am Himmel stand und wie ein greller Fleck wirkte, der auf die Erde niederbrannte. Er hätte am liebsten geschrieen und getobt. Er hätte sich selbst zerrissen. Er wäre abgetaucht. In die Erde hinein. In eine Höhle. Einfach weg. Für immer verkriechen. Nichts, aber auch gar nichts tun, sondern bleiben, bis der verdammte Tag vorbei war und die Nacht wieder als Sieger dastand.
Er war in das tiefste Verlies seiner Burg hineingekrochen. Ein normaler Mensch wäre darin vergangen. Eingepackt in dieser absolut schwarzen Dunkelheit und umgeben von widerlichem Verwesungsgestank. Hier unten lagen auch die Opfer des Blutsaugers. Die Tiere, die ihm Doreen gebracht hatte.
Hasen, Füchse, eine Katze, auch zwei Hunde und sogar ein kleines Reh hatten zu ihrer Beute gezählt. Er hatte sie getötet, ausgeweidet und ihr Blut getrunken. Die leeren Hüllen hatte er dann wie Abfall innerhalb des Verlieses verteilt.
Aber satt war er nicht. Der alte Drang wurde immer stärker. Er brauchte das Blut der Menschen. Wenn das eingetreten war, fand er möglicherweise die Kraft, den alten Fluch zu brechen, der über ihn verhängt worden war.
Die Gespenster der Nacht hatten ihn verflucht, weil er mit einer normalen Frau ein Kind gezeugt hatte. Durch diese Tat hatte er uralte Regeln gebrochen, und so kehrten sie aus ihrer Totenwelt zurück, um sich ihm als Geister zu zeigen.
Der Earl, selbst ein Vampir, kam mit den Geistern seiner Artgenossen nicht zurecht. Er wußte nichts von fremden Vampirwelten, die so etwas wie ein Jenseits sein mußten. Es hatte sich geöffnet, sie waren ihm geschickt worden, und besonders in dieser Nacht würden sie wieder erscheinen und sein Schloß besetzen.
Dann erlebte er den gespenstischen Reigen der schrecklichen Gestalten. Dann wurde er unter Anklage gestellt. Dann heulten sie ihn mit Stimmen an, die nur er hören konnte. Sie wollten ihn nicht einmal in ihrer Vampirwelt haben. Er war ihnen nicht würdig genug. Der Fluch reichte aus, um ihn auf dem alten Schloß zu lassen und in den hellen Vollmondnächten zu quälen.
Dabei war er einmal so mächtig gewesen. Einer, den die Menschen fürchteten. Das lag lange zurück. Jetzt hockte er wie ein Häufchen Elend in seinem Verlies und lauerte darauf, daß der helle Tag vorbei war.
Wenn dann die Dunkelheit über das Land fiel, war es auch ihre Zeit. Dann würden sie wieder den Weg in die normale Welt finden, aber auf einer Art Grenze stehenbleiben. Sie waren Geister. Nicht mehr und nicht weniger. Sie würden ihn quälen und fertigmachen. Er hatte kaum noch Kraft, sich dagegen anzustemmen.
Ein letzter Versuch lag vor ihm. Seine Tochter sollte alles richten. Sie würde ihm in der folgenden Nacht endlich einen Menschen bringen, an dessen Blut er sich laben konnte. Danach war er in der Lage, die
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