Nachtgespenster
lächelte. »So etwas ähnliches.«
Scheu schaute sie mich von der Seite her an. »Gewußt habe ich es nicht, John, aber schon daran gedacht. Du bist anders als die normalen Menschen. Aber verstehe das bitte nicht falsch.«
»Nein, nein, keinesfalls. Ich sehe das schon richtig«, erwiderte ich. »Aber diese Welt ist eben anders oder vielfältiger, als man sie normalerweise beschreibt. Das hast du erlebt, das erlebe ich immer wieder aufs Neue.«
»Tja«, sagte sie, und ihre Stimme klang dabei nachdenklich. »Ich möchte gar nicht weiter fragen, John. Ich komme sowieso nicht damit zurecht. Mein Weltbild ist schon gestört genug. Mir reicht es, was ich hier am eigenen Leibe durchlitten habe. Ich will nicht mit anderen Problemen belastet werden.«
»Da hast du aus deiner Sicht völlig recht.«
Ich hatte einen Bogen nach Osten fahren müssen, um den Weg zu erreichen, der uns hoch zur Burg brachte. Es war nur ein schmaler Pfad. Er wand sich dem Ziel entgegen. Gras und Unkraut hatten sich auf dieser Spur ausbreiten können. Es war ihnen nicht möglich gewesen, alle Steine zu bedecken. Während der Fahrt nach oben spritzte Schotter gegen das Bodenblech des Fahrzeugs. Es hörte sich an, als befände sich unter uns ein Trommler.
Der Sonnenschein begleitete uns auch weiterhin, aber die Düsternis der Burg blieb. Sie war einfach nicht zu erhellen. In ihren Mauern war das Böse gefangen. Es bildete einen Gegenpol zum Licht. Je näher wir dem Ziel kamen, desto nervöser wurde Doreen La Monte. Sie wollte nicht mehr hoch zur Burg schauen. Immer wieder blickte sie nach rechts oder links. Manchmal schaute sie auch auf ihre Knie, die von den Handflächen bedeckt wurden. Mit ihnen schabte sie über den Hosenstoff hinweg.
Ich wollte sie etwas ablenken und fragte: »Du kommst aber nie freiwillig her - oder?«
»Nein, auf keinen Fall, John. Immer wenn der Vollmond auftaucht. Dann zieht es mich hin, als wäre ich das Eisen und er der Magnet. Es ist schlimm. Ich kann nicht dagegen an. In mir steckt ein Keim. Wie soll ich ihn abtöten? Ausbrechen? Nein, das klappt nicht.«
»Da hast du leider recht.«
Der Mittag war bereits vorbei. Und die Sonne stand nicht mehr so hoch über uns. Im Sommer wäre es anders gewesen. Die heiße Zeit war vorbei, und das Wetter hatte uns einen wunderschönen Herbst beschert.
Der Weg war bisher ziemlich flach angestiegen. Es änderte sich im letzten Drittel. Auch das Gras wuchs nicht so satt und grün. Es gab mehrere Stellen, an denen es verschwunden war. Da kam dann die graue Erde zum Vorschein. Hin und wieder war auch ein aus dem Boden wachsender Stein zu sehen, der im Licht der Sonne schimmerte wie eine Spiegelfläche.
»Gibt es ein Tor? Kann ich in den Hof fahren?«
Doreen nickte.
»Gut. Und dann?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich bezweifle, daß uns der Earl beobachten wird. Es ist nicht seine Zeit. Er wird sich in sein Verlies verkrochen haben und auf die Dunkelheit warten.«
»Jetzt ist er ja schwach.«
»Richtig.«
»Dann wäre es gut, wenn wir ihn finden.«
Doreen schüttelte den Kopf. »Könnte sein, John. Nur werden wir ihn kaum finden können. Ich habe es versucht, und ich dachte, ich würde mich auf der Burg auskennen. Irrtum, ich habe das Versteck leider nicht gefunden. Es muß irgendwo im tiefsten Keller sein. Ein Verlies, das nur Eingeweihten bekannt ist.«
»Gut«, sagte ich lächelnd. »Dann vertreiben wir uns die Zeit eben auf andere Art und Weise.«
Es ging nicht mehr höher. Wir fuhren jetzt auf gerader Strecke weiter und direkt auf die Toröffnung zu. Das Tor war nicht mehr vorhanden. Die Mauer wies eine breite Lücke auf, durch die wir in den Innenhof rollen konnten.
Es war still. Es war kahl. Es gab keine Bäume, deren Laubwerk vom Wind bewegt wurde. Hier stand die Luft, und auch der Staub auf dem Boden wurde nicht bewegt.
Ich hielt an und stieg als erster aus.
Ja, diese Burg war nicht bewohnt. Man spürte es. Die Mauern sahen alt aus und waren an einigen Stellen, aus welchen Gründen auch immer, eingerissen. So waren breite, zackige Risse entstanden, die vom Boden bis fast zum Dach hochliefen.
Ich schaute mir die Umgebung des Innenhofs an, sah Fenster, sah auch eine Galerie, die mir nicht sehr vertrauenswürdig vorkam, und drehte mich dann nach links.
Dort hielt sich Doreen La Monte auf. Sie stand neben einer Treppe. Eigentlich waren es zwei Aufgänge, denn die Stufen führten von verschiedenen Seiten zu einer Holztür hoch.
»Es ist am besten, wenn wir dort
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