Nachtgieger
sechs Uhr früh joggte die Kommissarin Mandy Bergmann in sportlichem Tempo auf ihrer Lieblingsstrecke durch den Bamberger Hain an der Regnitz entlang. Es war kühl an diesem Morgen und es regnete in Strömen. Sie trug eine dünne, schwarzrote, wasserabweisende Trainingsjacke und eine Kappe. Die Laternen in antikem Stil, die in regelmäßigen Abständen das steinige Ufer säumten, warfen ein mattes, sanft gelbliches Licht in die Morgendämmerung. Nebelfetzen stiegen bedächtig schwebend vom Fluss auf und verliehen der Umgebung ein unwirkliches, verschwommenes Aussehen. Die Umrisse des mächtigen Bamberger Doms tauchten schemenhaft zwischen den Regenfäden hoch über der noch schlafenden Stadt auf.
Mandy liebte diese Stille und das Alleinsein. Während der kontinuierlichen Anspruchslosigkeit des Laufens konnte sie am besten nachdenken. Sie grübelte über ihren aktuellen, schwierigen Fall nach. Wenn Gerd recht hatte und sie es mit einem Serienmörder als Täter zu tun hatten, mussten sie rasch handeln. Er konnte jederzeit erneut zuschlagen. Die Kommissarin war fest davon überzeugt, dass sie es mit einer männlichen Person zu tun hatten, die äußerst gefährlich und erbarmungslos war.
In den meisten Fällen entsprach ein Serienmörder einem typischen Profil: ein Mann im Alter zwischen zwanzig und fünfundvierzig Jahren, der zurückgezogen und unauffällig lebte. Auch konnte er eine Familie gegründet haben, einem Beruf nachgehen und von seiner Nachbarschaft als hilfsbereiter, freundlicher Mensch geschätzt werden. Allerdings kamen Serienmörder in Deutschland selten vor. Aber die Möglichkeit kam natürlich in Betracht.
Sie umlief eine weite, schlammige Pfütze und drehte dann um. Von ihrer Kappe tropfte Regenwasser.
Zu Hause duschte die Kommissarin erst lange heiß, dann eiskalt. Erfrischt und hellwach schlüpfte sie in eine enge schwarze Jeanshose, zog einen weiten, grobgestrickten, schilfgrünen Pullover über den Kopf und schnürte ihre Lederstiefel. Dabei trank sie starken schwarzen Kaffee aus ihrer bauchigen, angeschlagenen Lieblingstasse. Auf das Müsli mit Nüssen, Joghurt und frischem Obst verzichtete sie nach einem Blick auf die Wanduhr. Sie hatte es eilig.
Der Vorsitzende des Wasserradvereins und Nachhilfelehrer Kilian Krautwurst war für acht Uhr in das Polizeipräsidium zum Verhör bestellt worden. Den zwielichtigen Burschen mit zweifelhafter Vergangenheit würde sie sich jetzt vornehmen. Sie mussten dringend einen Durchbruch erzielen, ehe es zu spät war.
Ihr Kollege saß bereits an seinem Schreibtisch und war konzentriert in Akten vertieft. Sie begrüßten sich und Mandy stellte erfreut fest, dass Gerd Förster Schweineohren vom Bäcker mitgebracht hatte. Hungrig biss sie in das knusprige Gebäck, als es an der Tür klopfte und Kilian Krautwurst den Raum betrat.
Er wirkte wie bei ihrem letzten Treffen im Vereinsheim ungepflegt und schmuddelig. Dasselbe ungebügelte T-Shirt hing an ihm wie ein Sack. Die Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden, seine Augen waren glanzlos und trübe, der Teint teigig und bleich, und er machte einen unausgeschlafenen Eindruck.
Der Mann setzte sich breitbeinig auf den Stuhl, der vor den Schreibtischen der Kommissare stand und versuchte vergeblich, einen gelassenen Eindruck zu machen. „Was wollen Sie von mir?“, fragte er misstrauisch.
„Sie haben uns nicht die Wahrheit erzählt, Herr Krautwurst“, begann die Kommissarin mit fester Stimme. „Sie haben Kati Simmerlein sehr wohl gekannt.“ Sie blickte entschlossen in seine Augen.
Der Befragte versuchte, diesen bohrenden Blicken auszuweichen, setzte sich aufrecht hin und erwiderte: „Das stimmt nicht, Sie irren sich, ich habe sie nicht gekannt. Ich habe mit dieser ganzen Angelegenheit überhaupt nichts zu tun.“ Er nickte bekräftigend.
„Herr Krautwurst“, nahm der Kommissar den Faden auf. „Wir wissen aus sicherer Quelle, dass Sie Kontakt mit dem Mordopfer hatten. Es hat doch keinen Zweck, diese Tatsache zu leugnen.
Kati Simmerlein hatte sich in dem Nachhilfeinstitut, in dem Sie beschäftigt sind, angemeldet, um ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Ihnen wurde von der Leitung die Aufgabe übertragen, sie in den Fächern Deutsch und Mathematik zu unterrichten und auf die externe Prüfung vorzubereiten. Nach drei Wochen ist sie nicht mehr erschienen. Warum nicht, Herr Krautwurst? Was ist passiert? Die junge Frau muss doch sicherlich Gründe für diese Entscheidung gehabt haben. Haben Sie sie
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