Nachtgieger
belästigt? Hatten Sie dann Angst, dass erneut ein solcher Vorfall wie damals an Ihrem Gymnasium an die Öffentlichkeit dringen würde? Dass Ihnen diesmal strafrechtliche Konsequenzen drohen würden? Haben Sie Kati Simmerlein getötet, damit sie für immer schweigt?“
Mandy Bergmann setzte ihm weiter zu: „Es bestehen eventuell Verbindungen zu weiteren Mordopfern. Wir werden überprüfen, ob Sie diese auch persönlich gekannt haben.“
Kilian Krautwurst starrte sie entsetzt an, dann verlor er die Fassung und brach schluchzend zusammen: „Ich habe nichts verbrochen, diese verdammte Geschichte von damals hängt mir ewig nach. Das waren alles Verleumdungen, übelster Rufmord. Sie können mir gar nichts nachweisen. Ich verlange einen Anwalt. Und ab jetzt sage ich kein Wort mehr.“
Mandy hatte genug von dieser weinerlichen Kreatur, die in Selbstmitleid versank. Sie informierte den Mann mit kalter Stimme: „Ich nehme Sie in Untersuchungshaft, Herr Kilian Krautwurst. Sie sind vorläufig festgenommen wegen des dringenden Tatverdachtes des Mordes an Kati Simmerlein. Sie haben selbstverständlich das Recht auf einen Anwalt.“
Gerade als sich der Nachhilfelehrer widerstandslos, mit gesenktem, wirrem Blick von zwei Polizeibeamten abführen ließ, klingelte das Telefon auf Mandys Schreibtisch. Sie nahm den Hörer ab und lauschte aufmerksam.
„Wir beeilen uns, versuchen Sie sich möglichst unauffällig zu verhalten, ich danke Ihnen.“ Sie sah ihren Kollegen aufgeregt an: „Die verdächtige Person ist soeben im Internetcafé in der Allersberger Straße eingetroffen. Los geht’s Gerd, den nehmen wir uns vor.“
Wenn der verdächtige Mann gewöhnlich etwa eine halbe Stunde den Internetanschluss nutzte, war die Zeit knapp. Eilig machten sich die Kommissare auf den Weg. Gerd Förster setzte das Blaulicht auf das Dach ihres Dienstwagens und raste mit Höchstgeschwindigkeit in Rekordzeit über den Frankenschnellweg in die Nürnberger Südstadt. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen.
Er parkte im Halteverbot schräg gegenüber dem Laden. Ruhig und unauffällig traten sie ein, stellten sich an den Tresen und bestellten zwei doppelte Espressi. Mandy erfasste blitzschnell die anwesenden Personen im Raum. Da saßen wieder die zwei alten türkischen Männer in ihr Brettspiel vertieft. Sie wirkten, als hätten sie sich seit dem letzten Besuch der Kommissare überhaupt nicht von der Stelle bewegt. Der Berg von leeren Pistazienschalen war noch höher geworden.
An einem der aufgereihten Computer saß ein Mann, der in seine Beschäftigung versunken war und die Neuankömmlinge gar nicht wahrzunehmen schien. Mandy tastete dennoch unauffällig nach ihrer Dienstwaffe.
Der junge Geschäftsführer, der sie telefonisch benachrichtigt hatte, stand hinter der hohen Holztheke, begrüßte sie scheinbar gelassen und deutete durch die Rauchschwaden auf die verdächtige Person am Terminal, die ihnen nach wie vor den Rücken zuwandte.
Gerd Förster trat entschlossen auf den Mann zu, hielt ihm seinen Dienstausweis vor die Nase, behielt den Verdächtigen und seine Bewegungen fest im Blick und sagte knapp: „Kripo Bamberg, Polizeikontrolle, kann ich bitte Ihre Papiere sehen?“
Der Mann fuhr erschrocken zusammen: „Was wollen Sie von mir? Ich sitze hier friedlich und schreibe eine Mail, ist das verboten?“ Schweißperlen bildeten sich auf seiner hohen, breiten Stirn. Er war groß und dickleibig und trug einen schwarzen Mantel, aus dessen offenen Schößen ein runder Bauch ragte. Füllige Hängebacken und kleine, kohlschwarze Augen bestimmten seine Gesichtszüge. Seine welligen, ebenfalls schwarzen Haare fielen ihm bis auf die breiten Schultern. Um seinen Hals hatte er einen weißen Seidenschal geschlungen. Mandy fiel seine klar tönende, dunkle Stimme auf.
„Wir würden Ihre Mail gerne lesen und wollen wissen, an wen sie gerichtet ist“, kam Mandy direkt zur Sache.
Der Mann reagierte empört: „Das ist meine Privatangelegenheit, das geht Sie überhaupt nichts an.“
Mandy erwiderte gelassen: „Dann nehmen wir Sie jetzt mit auf das Polizeipräsidium in Bamberg zur Befragung und den Computer beschlagnahmen wir. Wenn Ihnen das lieber ist.“
„Sachte, sachte, junge Dame, wissen Sie überhaupt, wer ich bin? Vor Ihnen sitzt der weltberühmte Opernsänger Francesco Carlos Fernandez, ich weile derzeit in Nürnberg, weil ich ein Engagement an der wunderschönen Oper angenommen habe. Ich singe jeden Abend den Samson. Ein grandioser Erfolg.
Weitere Kostenlose Bücher