Nachtgieger
sie getötet. Seine Frau hätte ihn vor die Tür gesetzt, er hätte seine gute Position verloren und das schöne Leben hätte jäh ein Ende gehabt.“
„Er hätte auch zahlen können“, wandte Gerd Förster ein.
„Du weißt doch, wie das ist, Gerd, Erpressungen hören in der Regel nie auf. Wenn man einmal erpressbar ist, ist man immer erpressbar.“
„Das ist eine sehr interessante Theorie, Mandy. Es ist durchaus möglich, dass Oskar Beer sich einen derart perfiden Plan ausgedacht hat. Ich halte ihn für sehr intelligent und skrupellos. Vielleicht war es so.
Mein Gefühl sagt mir jedoch, dass wir es mit einem eiskalten, gnadenlosen Serienmörder zu tun haben, den ein starkes Motiv antreibt, das wir dringend herausfinden müssen. Ich befürchte, dass er weitermordet. Er ist noch nicht fertig.“
Sie schwiegen nachdenklich. Dann fiel ihm etwas ein. Vielleicht gab es doch eine Verbindung.
„Womöglich hat der Mann, wenn es ein Mann war, in Apollonia Vierheiligs Garten tatsächlich Paulina beobachtet. Wir müssen sie warnen. Rufe bitte Sieglinde an, Mandy, und beauftrage sie, zu Paulina nach Hause zu fahren und mit ihr zu reden. Sie soll ihr aber keine Angst machen und umsichtig vorgehen. Sie soll sie bitten, vorsichtig zu sein. Es wäre gut, wenn ihr Freund Manni wenigstens ein paar Tage bei ihr wohnen würde.“
Die Kommissarin erledigte das Telefonat sofort. Am Ende teilte sie der Polizistin mit, dass sie nach diesem Gespräch mit Paulina Feierabend machen konnte.
„Auf jeden Fall“, resümierte Mandy, „besitzen weder Peter Kränzlein noch Kilian Krautwurst oder Oskar Beer ein Alibi. Sie kannten Kati Simmerlein und waren an einer Liebesbeziehung mit ihr interessiert. Zumindest der Vorarbeiter und der Obstgroßhändler. Kilian Krautwurst nehmen wir uns morgen vor.“
Die Allersbergerstraße war lang, dennoch fanden sie schnell ihr Ziel und sogar einen Parkplatz. Bei dem Haus mit der Nummer 101 handelte es sich um ein vierstöckiges, heruntergekommenes Gebäude. In den oberen Stockwerken waren Apartments untergebracht, deren blinde, vorhanglose Fenster trostlos in Richtung der stark befahrenen Straße zeigten.
Im Erdgeschoss befand sich rechts von der Eingangstür ein türkischer Gemüseladen, dessen vielfältiges Angebot vor dem Geschäft auf schmalen, länglichen Tischen einladend dargeboten wurde. Mandy beschloss spontan, grün-glänzende, reife Avocados einzukaufen und sich heute Abend einen Salat zuzubereiten. Der freundliche südländische Gemüsehändler schenkte der „schönen Dame“ dazu noch drei saftige Feigen.
Auf der anderen Seite war an einer schäbigen, verstaubten Glastür ein schiefes Pappschild angebracht, auf dem mit handgeschriebenen Buchstaben „Internetcafé“ zu lesen war. Die Schaufensterscheibe war durch vergilbte, zerschlissene Gardinen verhängt, so dass ein Blick in das Innere des Cafés unmöglich war.
„Sehr vertrauenswürdig wirkt dieser Laden nicht gerade“, murmelte Mandy und öffnete neugierig und wachsam die Tür. Eine Wolke dichten Zigarettenrauchs und abgestandener Luft schlug ihr entgegen. Sie unterdrückte einen heftigen Hustenreiz. Der Kommissar folgte ihr und versuchte, in dem Qualm, in dem sich vereinzelte Sonnenstrahlen brachen, etwas zu erkennen.
Rechterhand zog sich eine Theke durch den schmalen Raum. Eine verschmierte Glasscheibe gab den Blick auf zwei Porzellanplatten frei, auf denen sich belegte Brötchen und ausgetrocknete Kuchenstücke stapelten, die nicht sehr appetitanregend wirkten. Hinter dem Tresen stand ein hochgewachsener, magerer junger Mann mit langen, ungepflegten Haaren und dünnen Armen, die über und über mit Tätowierungen bedeckt waren. Er musterte die neuen Gäste misstrauisch und zog an seiner selbst gedrehten Zigarette. Im Glasaschenbecher vor ihm lagen bereits unzählige Kippen mit braungelben Enden.
Gegenüber der Theke standen drei unbenutzte Computer eng in einer Reihe. Im hinteren Teil des Ladens hatten vier Bistrotischchen ihren Platz, von denen einer besetzt war. Zwei alte, weißhaarige Männer, offenbar türkischer Abstammung, spielten mit beeindruckender Geschwindigkeit Tavli und tranken Tee aus winzigen, gravierten Gläsern. Während ihrer Beschäftigung knabberten sie gesalzene Pistazien, deren Schalen auf dem Tisch bereits einen kleinen Berg bildeten.
Sie ließen sich bei ihrem Spiel nicht stören.
Die Kommissare kletterten auf die hohen, unbequemen Hocker vor dem Tresen. Gerd Förster musterte die
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