Nachtgieger
Gestern hatte ich sieben Vorhänge.“ Die klangvolle Stimme tönte durch den Raum. „Nach der Premiere speiste ich mit den Honoratioren dieser geschichtsträchtigen, bezaubernden Stadt im Restaurant Zum roten Elch in der Nähe der Kirche Sankt Sebald – superb, versichere ich Ihnen. Bei dieser Gelegenheit wurde ich auch dem Polizeipräsidenten vorgestellt. Rufen Sie ihn an, er wird sicherlich meinen ausgezeichneten, untadeligen Leumund bestätigen. Ich bin ein friedliebender, frommer Mensch und durchaus bereit, Ihre Entschuldigung zu akzeptieren.“
Er verstummte und blickte die Kommissare auffordernd an. Gerd Förster machte sich an seinem Handy zu schaffen, telefonierte und wurde dabei wohl von einem zum anderen verbunden, dabei trank er seinen Espresso.
Mandy war weder überzeugt von dieser Geschichte noch beeindruckt und bestand darauf, die Mail zu lesen. Der dicke Mann resignierte vor ihrer Durchsetzungsfähigkeit. Sie drückte den Bildschirmschoner weg und überflog das Schreiben, dass an eine Penelope Maria Santinos in Madrid gerichtet war. War ihr gesuchter Täter auch im Ausland aktiv?
Es handelte sich bei dem Schreiben um einen langen, schwülstigen Liebesbrief mit Schwüren, Beteuerungen und Versprechungen an die ferne Geliebte. Von übermächtigem Begehren und unstillbarer Sehnsucht war da die Rede, in weitschweifigen, erotischen Beschreibungen wurde vom baldigen Wiedersehen geträumt.
Mandy erkundigte sich bei dem feurigen Liebhaber: „Wer ist Penelope Maria Santinos – Ihre Frau?“
Das volle Gesicht des Opernsängers färbte sich burgunderrot, die Schweißperlen verdoppelten sich. „Nein, Frau Kommissarin, ich bin ein ehrlicher Mann. Penelope ist meine langjährige Geliebte. Wir kommunizieren schriftlich nur über Internetcafés, damit meine Frau nichts von unserer Liaison erfährt. Sie ist seit acht Jahren an den Rollstuhl gefesselt, ich will ihr keinen zusätzlichen Kummer bereiten. Außerdem ist sie rasend eifersüchtig, sie würde mich meucheln.“ Der Mann schwitzte jetzt heftig und rollte erregt die dunklen Augen.
Gerd Förster beendete sein Telefonat. Er war nun endlich zum Polizeipräsidenten vorgedrungen. Er nickte dem Sänger zu und erklärte: „Der Polizeipräsident hat Ihre Aussage bestätigt. Seine Beschreibung passt auf Sie. Können Sie sich ausweisen?“
An Mandy gewandt fuhr er fort: „Herr Fernandez hält sich seit knapp drei Wochen in Nürnberg auf. Vorher war er angeblich noch nie hier in der Gegend. Das werden wir überprüfen.“
„Sie können gehen, Herr Fernandez“, sagte die Kommissarin mit Blick auf den Personalausweis, sah den Mann jedoch weiterhin argwöhnisch an.
„Überzeugen Sie sich selbst“, antwortete der untreue Sänger mit seiner Baritonstimme. „Ich bin ein großzügiger, offenherziger Mensch. Darf ich Ihnen zwei Eintrittskarten für den morgigen Abend überreichen? Beste Logenplätze, Sie sind herzlich eingeladen und werden es nicht bereuen. Nach der fulminanten Vorstellung werde ich Sie zu einem Glas Champagner einladen.“
Mit einer überschwänglichen Geste drückte er der Kommissarin zwei goldbedruckte Karten in die Hand, warf mit theatralischem Schwung seinen verrutschten Schal um den Hals und rauschte mit stolz erhobenem Haupt aus dem Internetcafé. Die beiden Türken hoben die weißbehaarten Köpfe und blickten mit unverhohlenem Interesse hinter ihm her.
Auf der Rückfahrt nach Bamberg, als die beiden Kommissare gerade lebhaft ihren komplizierten Fall diskutierten und sich den offensichtlichen Missgriff mit dem spanischen Opernsänger im Café eingestanden, erreichte Gerd Förster auf seinem Handy ein dringender Anruf. Eine aufgelöste Marga Simmerlein wurde zu ihm durchgestellt.
Über die Freisprechanlage begrüßte er sie freundlich und fragte einfühlsam nach ihrem Anliegen. Es war ihm bewusst, dass die Mutter von Kati Simmerlein Höllenqualen leiden musste. Vermutlich hatte sie mittlerweile begriffen, dass ihr Leben nie mehr so sein würde wie früher. Das war eine bittere Erkenntnis.
Mandy hörte gespannt mit. Hoffentlich ergab sich endlich eine neue, heiße Spur. Der Druck durch ihre Vorgesetzten, die sensationshungrige Presse und die verängstigte Öffentlichkeit steigerte sich ständig. Sie hatten zwar inzwischen einige Hauptverdächtige, die über ein Motiv verfügten, aber keinerlei Beweise, keine Zeugen, keine DNA-Spuren, nichts.
„Ich habe Katis Handy gefunden“, ertönte die aufgeregte Stimme der Mutter der Toten
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