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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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Spaziergänger, der am anderen Kanalufer auf einem schmalen Pfad unterwegs war, fiel vor Schreck die Zigarette aus der Hand, als er die helle Gestalt auf dem dunklen Wasser treiben sah.
     
    Zurück am Steg stemmte sich Mandy aus dem Wasser und lief in die Hütte, wo sie sich mit einem Handtuch, das sie neben der Spüle an einem Haken fand, trockenrubbelte und ihre Kleider überzog.
    Sie mixte sich aus Margaretes Vorräten einen Campari Soda, setzte sich auf eine Bank vor der Schrebergartenlaube und streckte die langen Beine aus. Sie dachte über den Fall nach und darüber, was morgen wohl auf sie zukommen würde.
    Ein fernes Gewittergrollen war zu vernehmen und der aufkommende Wind rüttelte an den Bäumen. Mandy kroch in ihren Schlafsack. Sie war müde.
    Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Ein Klacken durchbrach die Stille, das sich immer schneller fortsetzte. Dann war es wieder ruhig. Was war das gewesen? Da – wieder war die gleiche, schneller werdende Lautabfolge zu vernehmen. Mit einem Mal wurde Mandy deutlich bewusst, dass sie sich höchstwahrscheinlich allein auf dem Gelände befand. Außer einer Person, die um die Hütte streunte.
    Entschlossen krabbelte sie aus dem Schlafsack, griff nach ihrer Taschenlampe und schlich lautlos auf den Vorplatz. Dann sprang sie blitzschnell um die Hausecke und leuchtete auf den schmalen, gepflasterten Weg.
    Es klackte erneut. Eine Kastanie in ihrer haarigen Hülle, durch den starken Wind vom Ast geweht, fiel auf eine Steinplatte und hüpfte dann in immer kürzeren Abständen den Weg entlang.
    Erleichtert kroch Mandy wieder in ihr provisorisches Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Sie träumte von riesigen Wasserrädern, die sich durch tosende Wellen mahlten, und von weißen Bündeln, die kreisend und tropfnass herumgewirbelt wurden. Dabei entstand ein schabendes Geräusch.
    Ein schabendes Geräusch? Die Kommissarin kämpfte sich aus ihrem Traum und riss die Augen auf. Sie lag ganz still und lauschte. Ihr eigenes Herzklopfen war zu hören – und ein Kratzen an der äußeren Holzwand. Der Übeltäter stand vor der Tür und ergänzte die unheimliche Botschaft.
    Mandy riss die Tür auf und richtete Pistole und Taschenlampe auf eine Person, die gerade mit einem spitzen Nagel ein H in das Holz ritzte. Ein alter Herr in einem altmodischen Anzug und mit weißen Haaren fuhr zusammen und ließ vor Schreck sein Werkzeug fallen.
    „Was machen Sie hier?“, fuhr sie den nächtlichen Besucher an.
    „Wer sind Sie denn, wenn ich fragen darf?“, stotterte er. „Das ist doch Gretels Häuschen.“
    „Kripo Bamberg, ich habe gefragt, was Sie hier machen?“
    „Nun, gnädige Frau, das kann ich erklären. Ich ritze für Gretel eine Liebesbotschaft in das Holz. Ein selbst geschriebenes Gedicht. In meinem hohen Alter handelt man gerne romantisch. Nun ja, ehrlich gesagt habe ich mich nicht getraut, meine Angebetete direkt anzusprechen.“
    Treuherzig zeigte er Mandy einen Papierbogen, auf den er einen fünfzeiligen Vers geschrieben hatte.
    Sie las:
     
    MEIN, LIEBES MEIN
    OH, HOLDE GRET
    REIN UND ALLEIN
    DEIN WILL ICH SEIN
    ERLBACHER FRED
     
    Die Kommissarin unterdrückte ein Lächeln. Hatte sie sich doch auch von dieser Botschaft ins Bockshorn jagen lassen! Wenn man die Buchstaben von oben nach unten las und nicht von links nach rechts, wie vom Verseschmied beabsichtigt, ergab sich ein ganz anderer, mörderischer Sinn, was dem ehrenwerten Fred Erlbacher sicherlich nicht bewusst war.
    Sie schüttelte tadelnd den Kopf. Wahrscheinlich hätte er noch wie ein verliebter Teenager ein Herzchen um den Vers geritzt, wenn man ihm die Zeit gelassen hätte. „Sie haben Margarete einen fürchterlichen Schrecken eingejagt. Machen Sie nie mehr so einen Unsinn. Verstanden?“
    Der Galan Fred Erlbacher nickte betreten: „Verstanden!“
    „Morgen Nachmittag treten Sie mit Kaffee und Kuchen hier an und entschuldigen sich bei Margarete.“
    „Jawohl, gnädige Frau. Sie haben mein Wort als Gentleman.“

Sonntag, 22. September
     
    Clemens Lämmerhirt saß auf einem Hochsitz am Waldrand. Es war exakt ein Uhr morgens und es war kalt. Er fröstelte und kuschelte sich in seinen dicken Anorak mit dem warmen Futter.
    Der einundzwanzigjährige Jungjäger war ein schmaler, schüchterner junger Mann. Sein rötliches Haar war zu einem Kamm nach oben gegelt. Das längliche, mit Sommersprossen übersäte, blasse Gesicht mit der kurzen, groben Nase und dem breiten Mund war unscheinbar. Auffällig jedoch waren seine

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