Nachtgieger
der warmen Herbstsonne zu sitzen.
Christa und Heini ließen sich voller Vorfreude auf ihren bevorstehenden Imbiss nieder. Die aufmerksame Bedienung brachte die Karte, und die beiden entschieden sich für die Brotzeitplatte für zwei Personen mit Bauernschinken, Hausmacher Wurst, Limburger Käse und eingelegten Gurken. Dazu bestellte Heini zwei Radler. Nach ihrem köstlichen Mahl tranken sie noch einen Kaffee und genossen die Sonnenstrahlen. Heini griff nach der Tageszeitung, die zusammengefaltet und verwaist auf dem Nebentisch lag.
„Das ist doch die Zeitung von gestern“, klärte seine Ehefrau ihn auf. Sie mochte es nicht, wenn er in der Wirtschaft las und ihre Anwesenheit dabei vergaß. Sie wollte sich lieber unterhalten.
„Die von gestern habe ich auch noch nicht gelesen“, erwiderte Heini unsensibel und begann, die Seiten umzublättern.
Christa schmollte.
Plötzlich stutzte er: „Schau doch mal, Christa, dieses Foto in der Zeitung. Das Blockhaus darauf sieht genauso aus wie das, an dem wir vorhin vorbeigewandert sind.“
Christa warf einen kurzen Blick auf die grobkörnige Abbildung. „Ich weiß nicht, es gibt vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit. Aber diese Holzhütten sehen doch irgendwie alle gleich aus.“
Ihr Gatte ärgerte sich über ihr Desinteresse. „Es geht um eine Mordermittlung.“
Jetzt war ihm die volle Aufmerksamkeit seiner besseren Hälfte sicher. „Zeig mal her!“ Die Rentnerin setzte ihre Lesebrille auf und studierte nun das Bild ganz genau. „Ich glaube, du hast recht. Sieh doch, dieser seltsam gewachsene Busch mit den schlangenförmigen Ästen. Wie ein Medusenkopf. Der ist mir gleich aufgefallen. Und die grünen Fensterläden.“
Heini fuhr aufgeregt fort: „Die blaue Tonne unterhalb der Regenrinne. Und da, dieses geschwungene Gebilde, das in seiner Fortsetzung auf dem Foto abgeschnitten ist, dabei handelt es sich um den Gockelhahn aus gebranntem Ton auf dem Kamin. Ich dachte mir noch, so ein Zierde auf unserem gemauerten Grill zu Hause wäre doch eine gute Idee.“
Aufgewühlt sahen sie sich an. Ihren Kaffee hatten sie völlig vergessen. Christas rosige Wangen nahmen eine wächserne Blässe an. „Sind wir beide womöglich am einsamen Holzhaus eines Mörders vorbeigelaufen? Der Killer hätte uns überwältigen und meucheln können. Wir sind zufällige Augenzeugen, verstehst du? Wir haben sein Versteck entdeckt.“
Heini nahm seinen ganzen Mut zusammen – als Mann musste er schließlich einen kühlen Kopf bewahren – und griff entschlossen nach seinem leicht bedienbaren Seniorenhandy.
Die Kommissare saßen zusammen im Besprechungszimmer des Bamberger Polizeipräsidiums und legten ihr weiteres Vorgehen fest. Der Druck auf das Ermittlerteam nahm weiter zu.
Die Presse spielte verrückt. Irgendjemand hatte ihnen gesteckt, dass Paulina Regenfuß seit Freitagabend unauffindbar war. Eine große Boulevardzeitung hatte auf der ersten Seite in großen Lettern behauptet, die junge blonde Frau befände sich in den Händen eines Psychopathen, der in Serie seine hilflosen Opfer grausam ermordete. Und die Frage war aufgeworfen worden, ob die örtliche Polizei über die für die Ermittlung erforderliche Kompetenz verfügte.
Manni, der Freund von Paulina, lief beinahe Amok und hatte bereits versucht, die Behörde zu stürmen.
Sie hatten gestern Abend noch die ordentlich aufgeräumte Wohnung der verschwundenen Frau akribisch durchsucht und keinerlei Hinweise auf ihren Verbleib oder auf eine Person, die Kontakt mit ihr aufgenommen haben könnte, gefunden. Ihr Computer wurde noch immer von Technikspezialisten untersucht.
Ein Foto Paulinas war veröffentlicht und an alle Polizeistationen weitergeleitet worden. Nun wurde die junge Frau deutschlandweit gesucht.
„Bingo!“ Ein Techniker mit verwuscheltem Haarschopf stürmte in den Raum. Er trug eine verwaschene Jeans und ein farblich undefinierbares, schlabberiges T-Shirt. Diese PC-Spezialisten lebten in ihrer eigenen Welt.
„Wir haben auf dem PC von Frau Regenfuß einen Ordner gefunden, in dem eine Kontaktanzeige abgespeichert ist. Kommt mit, das müsst ihr euch anschauen.“
Er präsentierte den Kommissaren die Datei. Sie trug den Namen „Bärlibärchen“, und um den Text waren sich bewegende Cliparts gesetzt. Mandy konnte es nicht fassen. Überall zappelten kleine, rosa leuchtende Herzen über den hellen Bildschirm: vor Freude hüpfende Herzen, vor Liebesglück pochende Herzen, ausgelassen tanzende Herzen, fliegende Herzen,
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