Nachtgieger
und gar nicht. Sie mußte die Polizei informieren.
Von der Festwiese schlug ihr der Lärm der Kirchweihbesucher entgegen, die fröhlich sangen, schunkelten und sich die köstlichen Speisen und das Bier schmecken ließen. Klarissa blieb in einiger Entfernung von der feiernden Menschenmenge stehen, um ungestört telefonieren zu können. Aufgeregt tippte sie eine Nummer in ihr Handy und erreichte Gerd Förster persönlich.
„Paulina Regenfuß ist verschwunden, Herr Kommissar! Seit Freitagabend hat sie niemand mehr gesehen. Ich mache mir schreckliche Sorgen.“
Der Kommissar erinnerte sich sofort an die hübsche junge Frau mit den schulterlangen, blonden Haaren. Ein fürchterlicher Verdacht keimte in ihm auf. „Wissen Sie zufällig, welches Sternzeichen Frau Regenfuß hat?“
Klarissa dachte kurz nach: „Skorpion, glaube ich, ja doch, sie sprach kürzlich von ihrer Geburtstagsparty im November, sie plant ein großes Fest. Paulina wird dreißig Jahre alt.“
„Können Sie sich an ihr Geburtsdatum erinnern?“
Klarissa verstand den Sinn der Frage nicht, winkte aber Theo Engeltal herbei, der gerade an ihr vorbeirannte und versuchte, seinen ausgebüchsten Sohn David einzufangen, der geschickt Haken schlug wie ein Kaninchen auf der Flucht.
„Das Geburtsdatum von Paulina.“
„Erster November 80“, rief Theo ihr zu und stürmte davon.
Klarissa gab die Information an Gerd Förster weiter.
Er überlegte. Die Quersumme ergab die Zahl elf, nicht sechsundzwanzig. Aber wie hätte der Mörder in so kurzer Zeit ein weiteres Opfer finden können, dessen Geburtsdatum die Quersumme sechsundzwanzig bildete?
Er bedankte sich bei Klarissa und versprach, auf der Stelle alle nötigen Schritte einzuleiten, um Paulina zu finden, dann beendete er in höchstem Maße alarmiert das Gespräch. Die Frustrationstoleranz des Täters sank möglicherweise rapide. Eine Art innerer Zwang trieb ihn zu immer schnellerem Vorgehen an. Wenn der Psychopath Paulina in seiner Gewalt hatte, schwebte sie in höchster Gefahr.
Die Frau, die sich in der einsam gelegenen Blockhütte befand, hatte ein Stadium höchster Verzweiflung erreicht und verspürte grauenvolle Angst. Sie stand in einer Art weißem Nachthemd zitternd vor dem offenen Kamin und starrte in die dunkelrot und feindselig leuchtende Glut. Sie hatte alles versucht, um aus ihrem Gefängnis zu entkommen. Jetzt war sie völlig erschöpft und regelrecht paralysiert.
Er hatte die dicke, undurchdringliche Holztür von außen fest verschlossen und zusätzlich einen Riegel vorgeschoben. Sie hatte das entsetzliche Geräusch hören können. Die kleinen Fenster waren vergittert, die Fensterläden hermetisch abgeriegelt. Die zunehmende Dunkelheit im Raum nahm ihr die Luft zum Atmen. Sie fühlte, wie eine weitere, heftige Panikattacke sich näherte wie ein gefährliches Tier. Die Gitter hatten sich bei ihrem verzweifelten Ziehen und Rütteln keinen Millimeter bewegt. Sie waren fest in den Holzrahmen verankert.
Bei dem Versuch, die Tür zwischen sich und der ersehnten Freiheit zu zertrümmern, war einer der beiden einfachen Holzstühle zu Bruch gegangen. Darüber würde er sehr verärgert sein. Er liebte seine Hütte. Aber das war ihr inzwischen völlig einerlei.
Mit zornigen Hieben hatte sie mit dem Schürhaken aus Eisen auf das unnachgiebige, harte Holz eingedroschen, bis ihre nackten Arme schmerzten. Sie schleuderte ihn frustriert gegen ein Regal mit Geschirr und Senfgläsern, die er zum Trinken benutzte. Glas- und Porzellanscherben wirbelten durch den Raum. Eine Scherbe traf sie an der Schläfe und Blut rann über ihre Wangen. Sie nahm es gar nicht wahr. Die winzige Toilette nebenan besaß überhaupt kein Fenster, durch das sie hätte flüchten können.
Er war vor einiger Zeit hier gewesen. Wie lange das her war, wusste sie nicht. Ihr war jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen.
Er war bisher so liebevoll und aufmerksam mit ihr umgegangen. Wie ein richtiger Kavalier. Damit war es nun vorbei. Sie schauderte. Grob und unwirsch hatte er sich verhalten und sie mit barschen Worten unbarmherzig aufgefordert, sich in der Toilette am winzigkleinen Becken sorgfältig zu waschen und in dieses schreckliche Nachthemd zu schlüpfen. Als sie sich weigerte, hatte er sie dazu gezwungen, indem er ihr Prügel und Schlimmeres androhte.
Durch die offene Tür hatte er beobachtet, wie sie sich wusch. Sein Gesicht hatte sich dabei zu einer brutalen, hämischen Fratze verzogen. Voller Hoffnung hatte sie die
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