Nachtgieger
Rübenäcker gegen Nordwesten, der zweite Pfad schlängelte sich direkt in Richtung Westen und verschwand in einem dichten Wald, und die dritte Furt verlief südlich an einem Fußballfeld vorbei und verlor sich zwischen scheinbar undurchdringlichen, dunkelgrünen Hecken.
Die Kommissare blickten sich ratlos an. Sie konnten unmöglich jedem der drei Feldwege folgen, dabei würden sie viel zu viel Zeit verlieren. Jede Minute zählte, es deutete viel darauf hin, dass sich ein Menschenleben jetzt im Augenblick in Gefahr befand.
Die Umgebung hüllte sich immer mehr in Dunkelheit, Donner rollten heran und die ersten Blitze zuckten über den Himmel, der inzwischen die Farbe einer dunkelgraugrünen Hexensuppe angenommen hatte. Kein Mensch war unterwegs, den sie hätten fragen können. Die Dorfbewohner suchten vor dem drohenden Unwetter sicherlich Schutz in ihren Häusern.
Mandy Bergmann dachte angestrengt nach. Sie zwang sich dazu, sich zu konzentrieren und ihre überbordende Sorge um Paulina Regenfuß zurückzudrängen. Die würde ihr jetzt nicht helfen. Wenn man von ihrem Standpunkt aus eine imaginäre Linie zum Ort Großenohe zog, würde sich der nach Westen verlaufende Pfad anbieten. Aber auch die beiden anderen Wege konnten Haken schlagen und an ihr Ziel führen. Sie mussten eine Entscheidung fällen, und zwar jetzt.
Plötzlich nahm sie einige Meter von ihrem Dienstwagen entfernt am Straßenrain eine Bewegung wahr. Sie spähte angestrengt durch den immer dichter fallenden Regen.
Eine alte Frau näherte sich gebückt und bedächtig ausschreitend. Auf ihrem krummen Rücken trug sie einen Weidenkorb.
Mandy kurbelte hoffnungsvoll die Fensterscheibe herunter. Dicke Regentropfen verbreiteten kalte Nässe auf ihrem Gesicht. „Entschuldigen Sie bitte, können Sie uns weiterhelfen? Kripo Bamberg, wir suchen eine Hütte im Wald zwischen Kemmathen und Großenohe, einsam gelegen.“
Die Alte näherte sich unerschrocken. Sie trug eine oberfränkische Tracht, der Stoff des Überkleides war glänzend schwarz und mit winzigen, bunten Blumen übersät. Zwischen zweireihigen Knöpfen baumelten Silberkettchen. Ihre festen Schuhe und die weißen Strümpfe waren bereits durchnässt vom Regen.
„Sie fahren ja gar kein Polizeiauto?“
Die Kommissarin erklärte geduldig: „Das ist ein Zivilfahrzeug, wir ermitteln in einem Mordfall, eine junge Frau könnte in schrecklicher Gefahr sein.“
„Das kann ich mir sehr gut vorstellen“, erwiderte das greise Mütterlein wundersam unaufgeregt. „In der Hütte, die ihr sucht, wohnt hin und wieder der Teufel, müsst ihr wissen, und ihr solltet euch beeilen. Vor ein paar Minuten ist er mit seinem großen Wagen hier vorbeigefahren. Und nehmt euch in Acht vor dem Gewitter. Es wird noch viel schlimmer werden. Ein wütender, ungehemmter Sturm wird erbarmungslos über das Land ziehen. Aber euch wird der Herr beschützen. Es ist der nach Süden führende Weg.“
Sie wanderte weiter. Grelle, hellgelbe Blitze fuhren im Zickzack um die Gestalt in den vom Regen aufgeweichten Erdboden, aber ihr geschah nichts. Mandy sah sie noch im Nebel verschwinden, während Gerd Förster das Gaspedal durchtrat.
Schon bald war er gezwungen, die Geschwindigkeit wieder zu reduzieren. Der Wagen holperte über den Weg, der immer schmaler wurde. Vom Wind gerüttelte Zweige hingen über dem Weg und schlugen gegen die Karosserie. Abgerissene Blätter klebten an der Windschutzscheibe.
Der Kommissar hatte darauf verzichtet, die Scheinwerfer einzuschalten, und fuhr mit Standlicht, um nicht die Aufmerksamkeit der verfolgten Person auf sich zu ziehen. Dadurch war seine Sicht jedoch erheblich eingeschränkt. Die Scheibenwischer bewegten sich auf höchster Stufe hektisch hin und her und waren dennoch kaum in der Lage, der herabstürzenden Regenmassen Herr zu werden.
Gerd Förster saß leicht nach vorn gebeugt auf dem Fahrersitz, blickte konzentriert auf den Weg, der sich schemenhaft vor ihm erstreckte, und umfuhr umsichtig Schlaglöcher und Gesteinsbrocken.
Seine Kollegin konnte sich vor Ungeduld kaum noch auf ihrem Sitz halten. „Schneller, Gerd!“ Und dann: „Diese merkwürdige alte Frau vorhin wirkte auf mich wie eine Hexe.“
„Das war eine Hexe, Mandy.“
Sie verzichtete ausnahmsweise auf eine Diskussion mit ihm. Sie wollte seine Konzentration bei der Fahrt durch das tobende Unwetter nicht stören. Dann fiel ihr etwas ein: „Wo steckt eigentlich Sieglinde?“
Entschlossen drückte sie eine Taste auf ihrem
Weitere Kostenlose Bücher