Nachtgieger
von seinem Platz an einem Biertisch das lustige Treiben aufmerksam und höchst amüsiert verfolgte, machte einige Schnappschüsse, dann widmete er sich wieder seinen Blauen Zipfeln. Das Dirndl mit dem tiefen Ausschnitt stand seiner Gattin ausnehmend gut. Schade, dass sie sich normalerweise strikt weigerte, solche Art von Kleidung zu tragen.
Mit an seinem Tisch kauerte ein wortkarger, schlecht gelaunter Konrad Schüpferling, der abwechselnd düster in seinen fast leeren Bierkrug und dann wieder eifersüchtig zu den tanzenden Paaren starrte. Er murmelte etwas von der Berlusconisierung der Gesellschaft, vom Verfall der Sitten, von Sodom und Gomera und von einem Peter-Pan-Gschmarri. Gregor konnte nicht ganz folgen.
Erbittert erhob sich Konrad abrupt, stieß dabei beinahe den Biertisch um und stapfte Richtung Mexicana-Bar. Wenn seine Gattin Anneliese sich zu neuen Ufern aufmachte, nun, da würde er ihr in nichts nachstehen. Er würde jetzt eine von diesen Margueritas mit dem seltsamen Rand am Glas probieren.
Die Tanzpaare flogen weiter gutgelaunt um den Maibaum und die Zuschauer klatschten immer wieder voller Begeisterung. Das Betzenaustanzen war der traditionelle Höhepunkt des Montagabends.
Die Blaskapelle begann mit dem nächsten Kirchweihlied und viele Besucher stimmten mit ein:
„Am Sondoch kummt mei Res,
der bringt an Sack Bodaggn miet,
dann mach mer griena Glees,
am Sondoch kummt mei Res!“
Und weiter:
„Am Sondoch kummt mei Fritz,
der bringt uns Zigaretten miet,
die rauch mer mit der Spitz,
am Sondoch kummt mei Fritz!“
Die Verse setzten sich endlos fort – so erschien es zumindest Klarissa. Gerade wollte sie den Birkenzweig an das Paar hinter ihr weitergeben, als das laute, durchdringende Schellen eines Weckers ertönte. Frenetisches Klatschen und Johlen setzte augenblicklich ein. Schrille Pfiffe und lebhafte Stimmen hallten über den Festplatz. „Klarissa und Ferdi haben den Betzen gewonnen, herzlichen Glückwunsch, ihr zwei!“ – „Wann findet die Grillparty statt?“ Alle riefen wild und übermütig durcheinander.
Ehe Klarissa sich’s versah, hatte ihr jemand, von überschwänglichen Glückwünschen begleitet, ein raues Seil in die Hand gedrückt, an dessen anderem Ende ein Schafbock zog und zerrte und sie feindselig anstierte, als wolle er gleich zum Angriff übergehen.
Erschrocken reichte sie den Strick an Ferdi weiter. Dann trank sie erleichtert einen Schluck Bier von der Maß ihres Mannes.
Er lächelte sie an: „Du hast dich tapfer geschlagen und dann noch den Betzen gewonnen. Meinen Glückwunsch, Klarissa. Ich werde ihn am Spieß rösten und dazu Knoblauchbutter servieren. Wir laden alle ein.“
Klarissa wischte sich den Schweiß von der Stirn: „Das wäre überstanden. Betzenaustanzen ist nicht wirklich meine Passion.“ Dann fuhr sie nachdenklich fort: „Hast du Paulina gesehen?“
Gregor schüttelte den Kopf: „Merkwürdig, nicht wahr? Sie hat sich doch so sehr auf den Kirchweihtanz gefreut. Wo steckt sie bloß?“
Klarissa wandte sich mit wachsender Unruhe an Manni, Paulinas Freund, der am Nebentisch saß und offensichtlich zielstrebig an einem gewaltigen Seier – in der hochdeutschen Sprache als Vollrausch bekannt – arbeitete.
Klarissa rüttelte ihn energisch an der Schulter: „Wo ist Paulina?“
Manni sah sie verständnislos mit vernebeltem Blick an. „Wer ist Paulina?“
„Deine Freundin, du Trottel, sie ist verschwunden, machst du dir keine Sorgen?“ Klarissa verlor die Geduld.
Manni schwankte leicht, hielt sich am Biertisch fest und nuschelte: „Sie ist nicht mehr meine Freundin. Ein einfacher Fußballspieler ist der Dame nicht fein genug. Sie hat andere Pläne, ließ sie mich wissen, die dumme Hobbergaas. Die kann mich mal kreuzweise. Bedienung, noch einen Birn, aber zackig!“ Dann kippte er wie in Zeitlupe nach hinten auf den Festzeltboden und sank augenblicklich in tiefen Schlaf.
Die gefeierten Kirchweihpaare hatten sich um Gregors Tisch versammelt und stießen mit ihren Maßkrügen an.
„Wir waren großartig, sensationell!“ Manuela Henneberger strahlte voller Stolz. Insgeheim war sie davon überzeugt, dass selbstverständlich sie die beste und talentierteste Tänzerin gewesen war. Ihr Klausi drückte sie und gab ihr einen Kuss auf den Mund: „Du warst einfach hinreißend, mein Engel.“
Klarissa hatte keine Ruhe. Erneut lief sie mit ihren unbequemen Schuhen zu Paulinas Wohnung. Sie war leer. Irgendetwas stimmte hier ganz
Weitere Kostenlose Bücher