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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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Schatten nicht zu erkennen.
    Auf einmal hob die Frau den Kopf und bot ihren bloßen Hals dar. Der gelbe Schein des Feuers ließ ihre Haut in einem alabasterfarbenen Glanz schimmern. Der Mann hob nun ohne Eile beide Arme, dann, blitzschnell, streckte er sie nach vorne, den Kopf der Frau dazwischen, ließ sie ein Stück nach unten sinken und kreuzte sie. In dem bizarren Dämmerlicht schien es, als ob er seine Flügel ausbreitete wie ein großer, schwarzer Vogel. Das Bild wirkte unheimlich und verstörend. Durch die Frau ging ein Ruck und sie taumelte.
    Jetzt wusste die Kommissarin, was bei der Bewegung des Mannes kurz silbrig aufgeblitzt hatte. Eine Schlinge. Eine dünne, tödliche Wildererschlinge. Kaum wahrzunehmen bei dieser Beleuchtung.
    Sie trommelte mit ihren geballten Fäusten mit aller Kraft gegen die Fensterscheibe. „Aufhören, sofort aufhören!“, brüllte sie. „Polizei!“
    Der Mann erschrak und ließ die Enden der Schlinge los. Das perfide Mordwerkzeug fiel auf den Boden. Die Frau sank in sich zusammen.
    Mandy griff nach einem Stein, den sie vor ihren Füßen entdeckte, und zertrümmerte mit voller Wucht das Glas, dessen winzige Scherben in alle Richtungen durch die Luft flogen. Ihr Handgelenk begann stark zu bluten.
    Der Mann stürzte aus der Tür. Kurz darauf wurde ein Motor gestartet.
    Mandy rannte um das Haus zum Geländewagen, von dem sie nur noch die Schlussleuchten im Nebel verschwinden sah. Sie lief eilig in die Hütte und kniete neben der zusammengekrümmten Frau nieder, deren glasiger, starrer Blick ins Nichts gerichtet war. Mandy begann unkontrolliert zu zittern. Sie war doch nicht tot, oder? Hatte sie zu spät reagiert? Sie fühlte den Puls der Frau, und unendliche Erleichterung überkam sie. Er schlug schwach und regelmäßig. Dann konnte sie auch den flachen Atem vernehmen. Das Opfer stand unter Schock. Wo blieb nur der Notarzt? Und die anderen Kollegen? Leise und tröstend sprach sie auf die Frau ein und tastete nach ihrem Handy. Blut rann aus einer klaffenden Wunde von ihrem Handgelenk auf die Dielenbretter.
     
    Dann geschah alles gleichzeitig. Bewaffnete Kollegen mit schwarzen Sturmhauben stürmten in den Raum, während ein anderer das Fenster eintrat und hereinhechtete.
    „Er ist geflüchtet!“, rief Mandy.
    Gerd Förster, der Notarzt, Sanitäter vom ASB und Polizisten drängten in den Raum.
    „Wir müssen eine Großfahndung auslösen! Wenn ihr ihm nicht begegnet seid, muss es noch einen zweiten Weg geben“, rief Mandy.
    „Hast du erkennen können, wer der Mann war, Mandy?“, fragte der Kommissar.
    Die Frau auf dem Boden löste sich ein wenig aus ihrer Starre und hauchte: „Es ist der Waldi, der Förster Ewald Hufnagel, er wollte mich umbringen.“
    Paulina Regenfuß begann erbärmlich zu schluchzen.
     
    Ein Polizeihubschrauber hatte den flüchtenden Förster Ewald Hufnagel hinter Bad Berneck auf einer dicht befahrenen Straße, die durch das Fichtelgebirge führte, aufgespürt. Die Polizisten vermuteten, dass er sich ins nahe Tschechien absetzen wollte.
    Die eilig eingerichtete Straßensperre auf der B 303 kurz vor Tröstau zwang den Flüchtenden zum Anhalten. Er griff hastig nach seinem auf dem Beifahrersitz liegenden Zimmerstutzen, entschlossen, sich den Weg freizuschießen. Noch bevor er seine Waffe anlegen konnte, zertrümmerte ein Spezialteam der Polizei Fahrer- und Beifahrerfenster und mehrere Maschinenpistolen richteten sich auf ihn. Er wusste, dass er verloren hatte. Daraufhin ließ er sich widerstandslos festnehmen.
     
    Jetzt saß er im Verhörraum im Bamberger Polizeipräsidium an einem quadratischen Resopaltisch und starrte teilnahmslos vor sich hin. Sein sonst so gepflegter Bart stand in verfilzten Büscheln vom Gesicht ab. Sein Cape mit den silbernen Knöpfen, in die Hirschköpfe eingraviert waren, hatte er abgelegt. Ein Knopf fehlte nach wie vor. Das angebotene Glas Wasser hatte er mit einem Kopfschütteln abgelehnt. Er hatte bisher noch kein Wort gesprochen.
    Hinter der verspiegelten Wand, durch die man die Szene gut beobachten konnte, stand neben dem Gerichtsmediziner Karl-Heinz von Hohenfels der Polizeipräsident mit vor Stolz geschwellter Brust. Sein kompetentes Team hatte den Killer geschnappt. Ob er auch für die Morde an der alten Frau und dem rothaarigen Jäger verantwortlich war, würde sich in Kürze herausstellen. Was für eine großartige Presse würde das für seine Behörde bedeuten. Die Pressekonferenz war bereits angekündigt worden. Eine

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