Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
sobald sie sich zeigte. Stattdessen begnügte er sich damit, sie wütend anzufunkeln, was sie jedoch nicht weiter zu beeindrucken schien.
»Ich dachte, ich hätte unmissverständlich klargemacht, dass Sie beim Wagen bleiben sollen«, sagte er deshalb gereizt.
»Stellen Sie sich vor: Der Wagen lässt sich abschließen. Der brauchte mich also gar nicht als Aufpasserin. Da dachte ich mir, ich schaue mal vorbei und überzeuge mich davon, dass Sie meine Hilfe wirklich nicht brauchen. Außerdem bin ich neugierig, ob die Fährte eine Sackgasse ist oder nicht.«
»Kann es sein, dass Anders Ihnen die erste Tugend einer Dienerin - strikten Gehorsam - nicht ausreichend erläutert hat?«
Esther zupfte an ihrem Mantelsaum, der sich an einer Holzlatte verhakt hatte. »Gehorsam ist sicherlich eine schöne Sache, aber Anders ist es eigentlich wichtiger, dass ich meinen Job gut mache. Das bedeutet manchmal, dass ich es einfach besser weiß als er.«
»Und gerade wissen Sie auch besser als ich, wie man diesen Job richtig macht?«
»Natürlich nicht.« Esther sah ihn an, als hätte sie es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. »Aber ich muss doch zur Stelle sein, wenn Sie eine helfende Hand brauchen. Dafür hat Anders mich Ihnen schließlich überlassen, und Sie werden sehen, wie ernst ich meine Aufgabe nehme. Solange Sie darauf bestehen,
meine Hilfe zu benötigen, werde ich wie ein zweiter Schatten sein. Außerdem ist es ja auch meine Spur, der wir folgen. Ich habe Sie darauf hingewiesen, also sollte ich daran beteiligt sein, wenn Sie ihr nachgehen.«
Dem Lächeln auf ihren Lippen nach zu urteilen, hatte sie sich vorgenommen, ihm so sehr auf die Nerven zu gehen, bis er irgendwann schreiend die Flucht antreten würde. Das schien zumindest ihr Plan zu sein. Einen Moment lang konnte Adam nicht sagen, ob er sie vielleicht unterschätzt hatte … Der Gedanke gefiel ihm. Er hatte schon immer eine Schwäche für eigensinnige Frauen gehabt.
»Sie wollen mir also nicht mehr von der Seite weichen?«
»Genau«, sagte sie mit diesem herausfordernden Lächeln.
»Nun, was soll ich sagen - wie Sie den Abstieg in diesen Schuhen meistern werden, dürfte zweifellos interessant werden.«
Das Wort Abstieg wischte Esther das Lächeln vom Gesicht. Die Verblüffung, die an seine Stelle trat, fand Adam allerdings auch sehr anziehend. »Da hinunter?«, fragte Esther nach, während ihr Blick über Geröll und dorniges Gebüsch schweifte.
»Genau die passende Herausforderung für Ihren Ehrgeiz.« Adam gab sich nicht die geringste Mühe, die Genugtuung aus seiner Stimme zu tilgen.
»Aber da ist doch gar nichts zu sehen!«
»Nun, für mich zeichnet sich die Spur, die zum Wasserlauf führt, erkennbar ab.Wenn es in der letzten Nacht nicht geregnet hätte, wäre es noch einfacher. Jemand hat sich umsichtig einen Weg durch dieses Gestrüpp gesucht, und dabei trug er das Gefäß, das er in diesem Innenhof zerbrochen hat.«
»Gefäß, so nennen Sie die Opfer?« Esther war aschfahl geworden. Vielleicht hatte seine Wortwahl ihr in Erinnerung gebracht, dass er kein gewöhnlicher Mann war. »Als würden wir Menschen nur Behälter für jenen Trank sein, nach dem der Dämon verlangt.«
»Die meisten meiner Art sehen in den Menschen wohl kaum mehr als ein Gefäß voller Blut.«
»Aber Sie nicht, Sie sehen mehr in uns Menschen?«
Der Zynismus, der bei ihren Worten mitschwang, traf ihn unerwartet hart. Er öffnete schon die Lippen, um ihr zu erklären, dass er in ihr unendlich viel mehr sah, als der Dämon sich mit einem Schlag zurückmeldete.
Es reicht! Du bist mein, du wirst dich mir nicht entziehen. Ich erwarte, dass du augenblicklich aufhörst, dich auf diese Frau einzulassen, denn sie hat Recht: Auch für dich sind Menschen lediglich Gefäße voller Blut. Wenn du dir einbildest, das wegen dieser Dienerin ändern zu können, dann werde ich dir jetzt deine Grenze aufweisen.
Sogleich jagte ein glühender Stich durch Adams Brust. Er schwankte und bekam gerade noch rechtzeitig den Lattenzaun zu fassen.
»Was haben Sie?«
Esther umrundete ihn, und als er nicht reagierte, legte sie ihm eine Hand auf die Wange. Da ihm die Kraft fehlte, sie wegzuschlagen, wollte er ihr einen beredten Blick zuwerfen. Erschüttert sah er, wie sich jede einzelne noch so feine Ader unter ihrer Haut abzeichnete, ein rot leuchtendes Muster, die einzige Kunst, für die sich der Dämon interessierte.
Unvermittelt setzte das Rauschen hinter seiner Stirn ein, drohte jeden klaren
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