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Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz

Titel: Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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und weckte Adam. So jäh, als hätte man ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Mit rasendem Herzen richtete er sich auf und versuchte, noch einen Blick auf die abrupt verlassene Traumwelt zu werfen. Doch da war nichts. Bloß reine Schwärze, als gäbe es keinen Ort mehr, an den seine Seele sich zum Ausruhen zurückziehen konnte. Falls er denn noch eine besaß.
    Während er seine Beine vom Sofa, auf dem er gelegen hatte, schwenkte, kehrte die Erinnerung zurück. Allerdings brach sie nach wie vor in jener Gasse im Dämmerlicht ab, als habe sein Leben erst genau in diesem Moment begonnen.
    Eigentlich hatte Adam erwartet, nach dem Aufwachen unter Kopfschmerzen oder zumindest einem gequälten Magen zu leiden. Stattdessen fühlte er sich energiegeladen. Lediglich der widerwärtige Gestank, der von seiner Kleidung ausging, machte ihm zu schaffen. Außerdem war da eine unbestimmte Unruhe, die an ihm nagte. Er hatte das Gefühl, er müsse etwas Dringendes erledigen, dabei jedoch vergessen, um was es sich handelte.
    »Guten Morgen, mein Guter. Da sind Sie ja wieder. Haben dagelegen wie ein Toter. Ich hätte mir ernsthafte Sorgen gemacht, wenn nicht Ihr Atmen verraten hätte, dass Sie noch unter uns weilen.«
    Die singende Stimme ließ Adam zusammenfahren. Schlagartig spannte er sämtliche Muskeln an, konnte aber den Drang
beherrschen, in Angriffsstellung überzugehen. Womit er sich zweifelsohne auch nur blamiert hätte, denn der zierliche Herr saß entspannt mit übergeschlagenen Beinen in einem Sessel und las den Figaro . Die Seiten der Zeitung zitterten im Wind, der durch das offen stehende Fenster hereinwehte und den Duft vom ersten Grün des Jahres mit sich trug.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich bei Ihnen dafür bedanken soll, dass Sie mich hierhergebracht haben. Oder ob ich nicht besser umgehend eine Erklärung einfordern sollte«, setzte Adam an, während er die Miene seines Gastgebers studierte. Doch der lächelte nur gelassen, als ginge von Adam keinerlei Gefahr aus, obwohl er ihm bestenfalls bis zur Brust reichte.
    »Was Sie brauchen, ist ein Bad und frische Kleidung. Blut stinkt für unsereins widerlich, wenn es erst einmal getrocknet ist. Schlimmer als jedes verrottete Stück Fleisch.« Demonstrativ zog er die Nase kraus. »Am Ende des Flurs befindet sich der Badesalon, dort liegt schon alles für Sie bereit. Die gute Seele des Hauses, Henri, wird bald mit einem frischen Hemd und neuen Hosen für Sie zurückkehren. Aus meinem Kleiderfundus werden Sie sich kaum bedienen können, dafür sind Sie eindeutig zu groß geraten.«
    Obwohl Adam ebenfalls der scheußliche Geruch des Blutes quälte, weit mehr als der Dreck und Schweiß auf seiner Haut und Kleidung, verharrte er. »Zuerst möchte ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen.«
    »Dafür haben wir später noch alle Zeit der Welt.«
    Adam überging diesen Zwischeneinwurf genau wie die Tatsache, dass sein Gastgeber gezwungen war, sich mit der Zeitung frische Luft zuzuwedeln.
    »Wie lautet mein Name?« Diese Frage war ihm die wichtigste von allen.
    »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Sie haben ihn mir nämlich noch nicht genannt.«

    »Als mein Onkel sollten Sie ihn aber doch eigentlich kennen.«
    Der weißhaarige Mann lachte nur amüsiert.
    »Sie sind also keineswegs mein Onkel, auch nicht zweiten oder dritten Grades?« Adam formulierte es zwar wie eine Frage, aber strenggenommen war es eine Feststellung.
    »Nein, Ihr Onkel bin ich tatsächlich nicht. Aber wir sind verwandt, wenn auch auf eine Weise, die alles andere als gewöhnlich ist. Mein Name ist Etienne Carrière, ich bin Literaturprofessor an der Sorbonne, deren Kapelle Sie vom Fenster aus bewundern können. Mit wem habe ich die Ehre?«
    Adam zögerte. Auf der einen Seite wollte ihm die Antwort nicht ohne weiteres über die Lippen, auf der anderen fühlte er eine Wut aufsteigen, die er vor diesem beherrschten Mann nicht offenbaren wollte. Denn seine Wut verriet nur seine Hilflosigkeit. Wenn er auch nicht wissen mochte, wer er eigentlich war - dass er Hilflosigkeit bei sich selbst hasste, wusste er ganz genau.
    »Ich bin Adam«, sagte er schließlich ein wenig steif.
    Carrières feine Augenbrauen fuhren zusammen. Säuberlich strich er die Zeitung glatt und legte sie auf einen Beistelltisch, ohne den Blick von seinem Gast abzuwenden. »Nur Adam also … Warum überrascht mich das nicht? Sie sind wohl leicht aus der Bahn geraten, nachdem Sie unserem namenlosen Freund begegnet sind, möchte ich

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