Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
meinen.«
»Sie wissen also, was mir zugestoßen ist? Hören Sie ebenfalls eine Stimme, die Ihnen ihren Willen aufdrängen will?«
»Hören Sie denn eine?« Als Adam lediglich ein drohendes Knurren ausstieß, hob Carrière abwehrend die Hände. »Wir werden später in Ruhe darüber reden. Jetzt nehmen Sie erst einmal ein Bad, ansonsten verleiden Sie mir Ihre Gegenwart noch vollkommen.«
Im Badezimmer mit einem angrenzenden und großzügig geschnittenen Waschraum wiesen die Fenster auf einen Hinterhof hinaus, in dem bereits eine Felsenbirne blühte. Tatsächlich lag alles für ein Bad bereit. Trotzdem konnte Adam sich zunächst nicht dazu durchringen, sich zu entkleiden, obwohl ihn sein Geruch anwiderte. Zögernd betrachtete er das florale Bodenmosaik, das in grünem Marmor eingefasste Emailbecken und die modernen Leitungen, die nicht nur fließendes, sondern sogar warmes Wasser versprachen. Nicht viele Wohnungen in Paris dürften über einen derartigen Luxus verfügen.
Kommt mir ein solcher Luxus vertraut vor, oder sehe ich so etwas zum ersten Mal?, fragte Adam sich unwillkürlich. Gemessen an seiner Kleidung, die trotz ihrer Zerschlissenheit und der unzähligen Flecken eindeutig von guter Qualität war, vermutlich Ersteres. Es änderte jedoch nichts daran, dass er sich in all diesem Wohlstand unbehaglich fühlte. Seit er in der Gasse erwacht war, hatte er schnell herausgefunden, dass er über hervorragende Jagdinstinkte, überempfindliche Sinne und einen kräftigen Schlag verfügte. Außerdem zeigte er verblüffend wenig Hemmung, einen Gegner zu attackieren und sogar zu töten. Wie allerdings ein passendes Zuhause für ihn aussehen mochte, davon hatte er nicht einmal eine rudimentäre Vorstellung. Er hatte einfach kein Bild von einem Menschen namens Adam - falls es den überhaupt gab.
Mit dem Fuß schob er seine verdreckte Kleidung vor die Tür in der Hoffnung, dass dieser Henri tatsächlich bald mit frischen Sachen auftauchen würde. Den Gestank nach Blut wollte Adam jedenfalls keinen Augenblick länger mehr ertragen. Genauso wenig wie den Geruch der beiden Männer, der beim Kampf an ihm haften geblieben war und ihn daran erinnerte, dass er sie tot zurückgelassen hatte.
Lange Zeit sah er dem Wasser zu, wie es rötlich verfärbt im Abfluss verschwand. Selbst als es klar war, konnte er sich nur
schwerlich von dem Anblick lösen, erwartete er doch geradezu, noch mehr Blut müsse folgen. Mit fest aufeinandergepressten Lippen wandte er sich schließlich den Seifen auf dem Badewannenrand zu, die für seinen Geschmack alle zu stark nach Gräsern, Hölzern oder irgendwelchen aufdringlichen Ölen rochen. Ihm gefiel der Gedanke nicht, einen künstlichen Duft an sich zu tragen, obwohl er viel dafür gegeben hätte, diesen penetranten Muskatduft zu übertünchen, der ihm aus jeder Pore strömte.Also griff er sich lediglich eine der Bürsten und machte sich an die Arbeit.
Eigentlich hätte es ihn nicht verwundern sollen, aber er fand an seinem ganzen Körper nicht eine einzige Kampfspur. Kein Bluterguss, keine Schramme, nicht die kleinste Andeutung einer Verletzung. Wären das Blut und die Gerüche der beiden Männer nicht gewesen, hätte er von einer Wahnidee ausgehen können. Aber so? Vielleicht war ja alles, was er erlebte, nichts anderes als die Wahnwelt eines Irren, dessen Geist in seinem Kopf eingesperrt war, während sein Leib wohl verwahrt in einem Hospitalzimmer dahinvegetierte.
Ein Stöhnen unterdrückend, stieg Adam aus der Wanne, schlang ein Tuch um die Hüften und näherte sich im Waschraum dem Spiegel, um den er bislang einen großen Bogen gemacht hatte. Da er noch etwas Zeit schinden wollte, inspizierte er die Rasierutensilien genau, rührte sorgfältig den Schaum an und zog das Rasiermesser über den Abziehriemen. Es gelang ihm sogar, sich zu rasieren, ohne einen genauen Blick auf sein Spiegelbild zu riskieren. Als er jedoch die Schaumspuren abwischte und dabei prüfend in den Spiegel sah, blitzten seine schillernd grünen Iriden auf. So anziehend wie zwei Edelsteine in einer verborgenen Schatulle.
Konnte man wirklich die eigene Augenfarbe vergessen?
Je länger er in dieses bestechend gut aussehende Gesicht schaute, desto fremder erschien es ihm. Auch wenn er nicht
die leiseste Ahnung hatte, wer er war - er war auf jeden Fall nicht dieser Mann im Spiegel. Es war ein Gesicht, das die Aufmerksamkeit erzwang, weil man sich seiner Attraktivität nicht entziehen konnte. Aber er fühlte sich keineswegs wie
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